Willkommen im Zeitalter der Außenseiter

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Ich schlenderte durch die südafrikanische Wüste, als Seth Godin diese Worte sprach:

„In der Schule hatte ich kaum Freunde, denn die hat man dort nur, wenn man angepasst ist. Ich hatte großes Glück, dass das Internet erfunden wurde. Sonst würde ich heute nicht als besonders erfolgreich gelten. Das Blatt hat sich gewendet: Früher sagte man mir, ich wäre erfolgreicher, wenn ich mich nur besser anpassen würde. Heute ist nur erfolgreich, wer sich abhebt.“

Seth Godin ist einer der bekanntesten Internet-Marketer und 19-facher Buchautor. Seine Ideen trägt er in die Welt, macht sie damit ein bisschen besser – und kann davon sehr gut leben. Er nutzt die Möglichkeiten der heutigen Zeit für sich.

Als ich diese Worte hörte, hielt ich inne. Mit seiner Geschichte konnte ich mich gut identifizieren, denn ich fühlte mich auch immer als Außenseiter. In meiner Jugend war ich introvertiert (bin ich immer noch), dick (bin ich nicht mehr) und hatte ein geringes Selbstwertgefühl (es wird besser). Ich hatte meine kleine Clique von Freunden, zu denen ich später fast vollständig den Kontakt verlor. Sonst hatte ich mit niemandem wirklich etwas zu tun. Im Studium schloss ich keine Freundschaften. Nicht eine.

Du kannst dir vorstellen, dass ich Schule und Studium nicht zu den Highlights in meinem Leben zähle. Beides möchte ich nicht noch einmal haben. Ich war in Strukturen gefangen, die ich damals als unangenehm, aber völlig normal empfand. Sie sollten mich auf das Leben danach vorbereiten und sie gaben mir eine Orientierung, wo ich im Leben stand: am Rand. Meine erfolgreichste Zeit begann nach dem Studium. Es gelang mir, mich zunehmend von zu viel Fremdbestimmung zu emanzipieren.

Ich fand einen Job, der zu meinen Eigenarten passte und mir viele Freiheiten bot. Ein Jahr später ebnete er mir den Weg in die Selbständigkeit. Heute arbeite ich nur an Dingen, die mir Spaß machen und die ich bedeutend finde. Ich kann mir die Menschen aussuchen, mit denen ich Zeit verbringe. Ich kann entscheiden, wann und wo ich etwas mache. Ich setze meine Stärken für mich ein und umschiffe meine Schwächen. In der Fremdbestimmung machten mich meine Eigenschaften zum Außenseiter. Seit ich selbst bestimme, bin ich immer noch ein Außenseiter, aber ein erfolgreicher (was sich nicht so sehr nach Außenseiter anfühlt).

Das Ende gut bezahlter Jobs

Der Autor James Altucher nennt unser Zeitalter die Choose-Yourself-Ära. Es ist die Zeit, in der Menschen belohnt werden, die selbst die Initiative für ihr Leben ergreifen. Anstatt sich von Unternehmen und den Erwartungen anderer das Leben diktieren zu lassen, machen sie ihr eigenes Ding. Die Voraussetzungen dafür waren noch nie so gut wie heute. Gleichzeitig war unsere Denkweise noch nie so sehr auf ein Leben in Abhängigkeit gepolt.

Die Ursache ist ein Gesellschaftssystem, das Gleichheit fördert. In der Schule lernen alle das Gleiche. Im Studium lernen innerhalb eines Studienganges auch wieder alle das Gleiche. Jedes Bildungssystem dieser Größe fördert Gleichheit. Das ist so lange in Ordnung, wie Gleichheit gewünscht ist. Lange Zeit wollten Unternehmen genau das. Arbeitsbienen, die 40 Stunden in der Woche ihren Job verrichten. Davon konnten alle leben, häufig reichte sogar ein Haushaltseinkommen. Doch heute haben die vereinheitlichten Absolventen es nicht mehr so leicht, einen gut bezahlten Job zu finden – trotz sechs Jahren Studiums, Masterabschluss, Praktika und Auslandssemester.

Unternehmen brauchen nicht mehr massenhaft Mitarbeiter, die alle gleich sind. Der Bedarf ist längst gedeckt, denn von solchen Jobs gibt es immer weniger. Sie werden zunehmend automatisiert. Was folgt, ist nicht etwa eine Gesellschaft, in der alle nur noch zehn Stunden pro Woche arbeiten müssen und sonst ihren Hobbys nachgehen können, sondern eine Gesellschaft, in der es weniger Möglichkeiten gibt, mit einem Job Geld zu verdienen. Wer nur das kann, was alle anderen auch können, hat kaum Chancen auf einen gut bezahlten Job. Es mag zum Leben reichen, mehr aber auch nicht. Die Abhängigkeit von diesen Jobs steigt, da es keinen Spielraum für Rücklagen gibt. Der landläufige Begriff abhängige Beschäftigung wird immer wahrer.

Die Chance für Außenseiter

Meine Antwort ist einfach ausgesprochen, aber schwer umzusetzen: Wenn es weniger gut bezahlte Jobs gibt, müssen Menschen ihre eigenen Jobs schaffen. Allerdings werden wir zu keinem Zeitpunkt darauf vorbereitet. Wir lernen nur, wie wir zu Konzernarbeitsbienen werden. Um unser eigenes Ding zu machen, müssen wir diese Denkweisen nun wieder verlernen. Das ist der einzige Weg raus aus der bangen Abhängigkeit.

Das dürfte jenen Menschen am leichtesten fallen, die sich noch nie gut anpassen konnten. Sie sind es gewohnt, abseits der Herde ihren eigenen Weg zu gehen. Ihr Denken dreht sich nicht ums Mitlaufen, sondern ums Gestalten und um Unabhängigkeit. Ihre Eigenschaften befähigten sie schon immer zu Selbständigkeit, das ist nicht neu. Aber wenn klassische Jobs nicht mehr funktionieren, werden selbständiges Denken und Handeln zu echten Alleinstellungsmerkmalen. Nicht nur in der Selbständigkeit, sondern auch auf dem Arbeitsmarkt. Unternehmen brauchen heute Querdenker, die mehr können, als Durchschnitt zu sein. Sie brauchen Mitarbeiter, die ihr Unternehmen kreativ voranbringen. Diese Menschen sind nicht abhängig von ihren Jobs. Ihre Arbeitgeber sind abhängig von ihnen. Die abhängige Beschäftigung wird auf den Kopf gestellt.

Die Worte Seth Godins ließen mich in Südafrika nicht mehr los. Ich fühlte mich zur Abwechslung mal gut in meiner Rolle als Außenseiter. Als der Podcast geendet hatte, ging ich zurück in meine Hütte und machte mich an die Arbeit.

 

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