Wie mein Lifestyle mich einsam macht(e)

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Es gibt keinen guten Zeitpunkt, um über Einsamkeit zu schreiben. Wenn sie mich erwischt, bin ich im Moment der tiefen Traurigkeit zu nichts fähig. Ich sitze nur lethargisch herum, kann keinen klaren Gedanken fassen und hoffe, dass es bitte auch dieses Mal wieder vorbeigehen möge. Habe ich sie bereits für einige Zeit hinter mir gelassen, möchte ich die schweren Momente nicht mehr heraufbeschwören. Lediglich in den Tagen dazwischen bin ich in der Lage, Einsamkeit in Worte zu fassen. Die Tage, in denen ich angestrengt aus dem Loch klettere, aber noch nicht wieder draußen bin. Die Traurigkeit ist noch da, aber sie überwältigt mich nicht mehr. Heute ist ein guter Tag zum Schreiben.

Dass wir Einsamkeit thematisieren würden, war nur eine Frage der Zeit. Schließlich ist sie eng mit unserer emotionalen, aber auch mit unserer körperlichen Gesundheit verbunden ist. Einsamkeit macht krank und – schlimmer noch – einsame Menschen sterben früher.

Jeder fünfte Leser dieses Blogs fühlt sich „oft einsam“. Diese Größenordnung lässt sich sogar auf die gesamte Gesellschaft übertragen. Laut einer Umfrage unter knapp 20.000 Befragten stimmten insgesamt 23 Prozent der Aussage zu, sie seien oft einsam. Viele Menschen sind betroffen, aber niemand redet darüber, da jeder glaubt der einzige zu sein.

Einsamkeit ist kein Phänomen von Einzelgängern wie mir, denn allein zu sein und einsam zu sein sind zwei verschiedene Dinge. Ich bin oft allein und fast genauso oft nicht einsam dabei. Im Gegenteil: Häufig verstärkt sich meine Einsamkeit im Beisammensein mit Menschen nur noch mehr. Ich kann an einem Tisch mit fünf netten Leuten sitzen und nur mit großer Mühe die Traurigkeit zurückhalten. Ich kann ein Date haben und viele positive Signale erhalten, aber bin distanziert, weil sie mich nicht interessiert. Ich kann auf der Bühne stehen, mir von hundert Menschen zujubeln lassen, und gehe einsam nach Hause.

Drei Situationen, die eines gemeinsam haben: Ich fühle mich mit diesen Menschen nicht verbunden. Entweder habe ich zu ihnen keine Beziehung aufbauen können oder komme in diesem Moment nicht an sie heran, weil sie in die Gruppe eingebunden sind. Mein Bedürfnis nach Tiefe und Vertrautheit wird dann nicht erfüllt. Ich spüre das bereits in der Gruppensituation. Andere Menschen fühlen sich im Zusammensein noch wohl, vermeiden aber um jeden Preis allein zu sein – weil sie Angst haben mit sich selbst auskommen zu müssen. Das ist auch Einsamkeit.

Die Ursache von Einsamkeit

Eine kurze einsame Episode mag in einer Trennung oder einem Verlust begründet sein und vergeht nach einiger Zeit, wenn du ein gesundes Selbstwertgefühl hast. Besteht dieses nicht, kann aus einer vorübergehenden Traurigkeit jedoch eine chronische Einsamkeit werden.

Ich würde mich nicht als chronisch einsam bezeichnen, aber ich habe ein chronisch schwaches Selbstwertgefühl. Deshalb gerate ich wie in einer Wellenbewegung immer wieder in einsame Täler. Ich arbeite daran die Wellen zu glätten, indem ich mich selbst mit gesunden Gewohnheiten verwöhne, allerdings ist es noch ein weiter Weg.

Aus diesem Zustand der mangelnden Selbstliebe heraus, leb(t)e ich einen Lifestyle, der das schwache Selbstwertgefühl überspielt(e) oder sogar verstärkt(e). So manipulier(t)e ich mich selbst und mach(t)e mich noch einsamer. Einige dieser selbstschädigenden Verhaltensweisen konnte ich ablegen, andere lebe ich weiterhin.

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Dieser Weg führt in die Einsamkeit

  1. Ich stürzte mich in die Arbeit. Zunächst arbeitete ich in einem Startup und war dort Teil eines Ganzen. Zeitweise brannte ich dafür, an dieser gemeinsamen Sache zu arbeiten (auch wenn wir nur T-Shirts verkauften). Später gründete ich eine Marketingagentur und wendete viel Zeit für diese auf. Um andere Dinge kümmerte ich mich kaum. Doch so schön ein gemeinsames Projekt ist: Es ist fast nie von Dauer. Ich verließ das Startup, später auch meine Agentur und stand jeweils wieder ohne ein Gemeinschaftsprojekt da. Mit einigen dieser Menschen bin ich noch befreundet, mit anderen bekannt, aber die meisten sind aus den Augen und aus dem Sinn.
  2. Ich wollte beruflich ganz oben stehen. Vier Jahre lang war ich Chef in meiner eigenen Agentur. An der Spitze aber war es einsam. In dieser Zeit hatte ich die wenigsten Freunde, da sich mein soziales Umfeld hauptsächlich innerhalb des Unternehmens befand, aber Mitarbeiter keine Freunde sind.
  3. Ich arbeite oft allein im Home Office. Auf der einen Seite fühle ich mich in meiner Arbeit freier denn je, doch auf der anderen Seite fehlen die sozialen Kontakte bei der Arbeit. Das allein macht noch nicht einsam, denn ich fühlte mich auch schon einsam, als ich noch in Büros arbeitete, aber es nimmt mir eine Gelegenheit, neue Beziehungen aufzubauen.
  4. Ich lebe in einer Großstadt und bin überzeugt: Je mehr Menschen auf einem so großen Haufen wohnen, desto einsamer ist jeder Einzelne. Ich weiß, dass mir diese Anonymität grundsätzlich nicht guttut. Allerdings komme ich aus diesem Umfeld kaum noch heraus. Ich habe mich an die Annehmlichkeiten längst gewöhnt, habe hier meine Freunde und denke wie ein Stadtmensch.
  5. Ich neige dazu, mich zu verkriechen. Introversion ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das zur Vereinsamung einlädt. Als Intro fühle ich mich stets zum Alleinsein hingezogen, will zwar Offenheit, aber meide sie instinktiv und fühle mich folglich nur mit wenigen Menschen verbunden. Dabei ist klar: Wenn ich mich nicht in das Leben anderer Menschen involviere, werde ich mit der Zeit aus ihrem Drehbuch herausgestrichen.
  6. Erschwerend kommt hinzu, dass ich digital kommuniziere. Hier gilt ein ähnliches Prinzip wie bei den Großstädten: Je besser wir miteinander vernetzt sind, desto einsamer wird der Einzelne. Anstatt uns mit wenigen Menschen ausführlich von Angesicht zu Angesicht zu unterhalten, kommunizieren wir nun mit vielen Menschen digital. Wir wollen bei allem dabei sein und wenn wir es nicht sind, fühlen wir uns schlecht. Enge Beziehungen entstehen so nicht.
  7. Ich entwickle mich in eine Richtung, mein Umfeld aber in eine andere. Ich lese Bücher und Blogs, versuche mich an neuen Gewohnheiten, optimiere an mir selbst herum und will unabhängig leben. So ein Verhalten macht einsam, wenn mein Umfeld sich in eine ganz andere Richtung entwickelt. Wir entfernen uns voneinander. Darüber schrieb auch kürzlich Ralf Senftenberg von Zeit zu leben: Ich mach mein Ding, aber leider bin ich einsam.
  8. Ich verließ mein festes Umfeld. Für einige Jahre reiste ich um die Welt, wohnte mal hier, mal dort, warf den Alltag über Bord und wollte möglichst viel Abwechslung erleben (auch, um im Stillstand nicht wieder einsam zu sein). Ich bereue diese Zeit nicht, denn sie hat mich vorangebracht und über Umwege konnte ich Freundschaften intensivieren. Dennoch lief ich in der Zeit nur vor der Einsamkeit davon, anstatt nachhaltig etwas dagegen zu tun.
  9. Ich mache es Menschen häufig recht, schließlich will ich geliebt werden (wenn ich mich selbst schon zu wenig liebe). Ich habe früh gelernt, dass es manch eine „Liebe“ nur dann gibt, wenn ich Auflagen erfülle. Diese Denkweise setze ich nun fort. Allerdings stehe ich alleine da, sobald ich die Bedingungen für Gegenliebe nicht mehr erfülle. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich das sogar schon im Moment der Erfüllung. Vermutlich macht mich kaum etwas einsamer, als Liebe nur unter Bedingungen zu erwarten.

Diese Verhaltensweisen begünstig(t)en meine Einsamkeit. Es handelt sich dabei nicht um ein grundsätzlich schlechtes Verhalten. Ich wollte beruflich erfolgreich sein und profitiere davon heute noch, indem ich mir viele Freiheiten leisten kann. Ich wollte um die Welt reisen und habe mich in diesen Jahren weiterentwickelt. Auch das Leben in einer Großstadt und die digitale Kommunikation haben viele Vorteile für mich. Das alles ist gut, aber nichts davon macht mich nachhaltig glücklich oder fördert ein langes Leben. Der Preis dafür sind ein weiterhin schwaches Selbstwertgefühl und die damit verbundenen Phasen der Einsamkeit.

Meine Frage ist nun, ob ich der Einsamkeit etwas Positives abgewinnen und sie mithilfe einer solchen Umdeutung letztendlich überwinden kann. Damit beschäftige ich mich in den nächsten Artikeln:


Fotos: Mann am Horizont und Frau am See von Shutterstock

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