Warum wir nicht alle 11 Minuten aufs Handy schauen sollten

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Ich fuhr im Regionalzug durch Sachsen Anhalt, als ich ein Buch über die Liebe las. Man lernt ja nie aus. Während die Landschaft an mir vorbeizog, verriet mir der Autor das Geheimnis erfolgreicher Beziehungen. Er nennt es die Liebesformel. Die erste Zutat dieser Formel ist die Zuwendung: Geht man im Alltag auf seinen Partner ein oder wendet man sich immer wieder anderen Dingen zu?

Neben mir saß ein junges Pärchen. Beide daddelten auf ihren Smartphones herum. Plötzlich fiel ihr etwas ein, das sie ihrem Partner unbedingt erzählen wollte. Etwas, das sie an jenem Tag erlebt hatte. Es schien wichtig zu sein. Er wendete sich ihr allerdings nicht zu, sondern spielte weiter auf dem Handy. Für den Rest der Fahrt war die Stimmung im Keller.

Es ist erstaunlich, welche Macht Smartphones auf uns ausüben. Wie sie uns in den Bann ziehen und Konflikte provozieren, die sich leicht vermeiden ließen. Kein Wunder: Diese Geräte machen uns süchtig. Der reflexartige Griff zum Handy ist oft keine rationale Entscheidung, sondern wird durch das „Glückshormon“ Dopamin getrieben. Ohne uns dessen bewusst zu sein, erwarten wir ein gutes Gefühl, wenn wir das Smartphone in die Hand nehmen – oder warum sonst würden wir alle 11 Minuten aufs Display schauen?1

So oft greifen junge Menschen wie du und ich zum Handy. Im Durchschnitt 88 Mal am Tag schauen wir aufs Smartphone. Davon entsperren wir es ganze 53 Mal. Meistens öffnen wir dann Whatsapp, Facebook und andere Messenger, denn über die digitale Kommunikation mit unseren Freunden und Kollegen erhalten wir die Aufmerksamkeit, nach der wir uns sehnen. Insgesamt drei Stunden am Tag haben wir das Gerät in der Hand. Neben den Chats vertreiben wir uns die Zeit mit Spielen, Youtube, Nachrichten und Blogs. Es ist gut möglich, dass du diesen Text gerade auf dem Handy liest. Jeder zweite Besucher verfolgt Healthy Habits mobil.

Die Zahlen stammen von Forschern, die das Verhalten Hunderttausender Nutzer mithilfe der App Menthal auswerten.2 Wer eine solche App installiert, zählt wahrscheinlich zu den Vielnutzern, daher wird der reale Durchschnitt geringer sein. Absurd hoch ist er gewiss trotzdem.

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Ich vermute, dass ich mein Smartphone nicht alle 11 Minuten in der Hand halte. Doch ich erwische mich oft dabei, wie ich vorsorglich nachschaue, ob mir jemand geschrieben hat. Häufig nehme ich es auch zur Hand, um mir sinnlos die Zeit zu vertreiben. Dann scrolle ich durch unbekannte Instagram-Accounts, komme von einem Foto zum nächsten und ärgere mich anschließend über mich selbst. Nicht nur, weil ich Zeit vertrödelt habe, sondern weil ich mich hinterher schlechter fühle als vorher. Die Selbstdarstellung in den sozialen Netzwerken macht eben unglücklich.

Warum wir nicht ständig aufs Handy schauen sollten

So nützlich ein Smartphone auch sein mag, wäre es wesentlich gesünder, es nicht so oft zur Hand zu nehmen. Für uns selbst und für unsere Beziehungen.

Egal, ob bei der Arbeit oder im Privatleben: Wenn wir alle paar Minuten aufs Handy schauen, leidet unsere Produktivität. Wir werden ständig aus unseren Aufgaben herausgerissen und brauchen immer wieder Zeit, um uns erneut einzuarbeiten. So zerreißen wir den Tag in kleine Stücke und schaffen nichts. Am Abend wissen wir nicht, wo die Zeit geblieben ist. Das macht unzufrieden und fühlt sich nach Stress an. Wer kennt das nicht?

Ein großer Teil dieses Stresses ist hausgemacht. Wer ständig aufs Handy schaut, um neue Informationen abzurufen, die man in diesem Moment nicht braucht, kommt nie zur Ruhe. Ich neige selbst dazu. Deshalb versuche ich schon seit Langem keine Nachrichten mehr zu lesen. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mich jemals glücklich oder weiser gemacht hätten. Auch Statistiken und soziale Medien möchte ich möglichst selten aufrufen.

Die stärkste Sogwirkung übt der Wunsch nach Aufmerksamkeit auf uns aus. Deshalb schauen wir so oft aufs Display, obwohl wir kein Klingeln gehört haben. Eine Textnachricht verschafft uns einen kurzen Glücksmoment – jemand denkt an uns –, doch der ist schnell wieder vorbei, denn ein Text ersetzt keine menschliche Nähe. Häufig bleibt die Hoffnung sogar unbefriedigt – ich bekomme jedenfalls nicht alle 11 Minuten eine Nachricht – und das ist stest ein bisschen enttäuschend.

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Der Griff zum Handy macht nicht grundsätzlich unglücklich. Aber Menschen, die ohnehin schon einsam, traurig oder gestresst sind, machen es mit ihrem Smartphone nur noch schlimmer. Trotz zunehmender Erschöpfung schauen sie immer wieder nach, ob ihnen jemand schreibt.3 Es ist der Versuch einer Realitätsflucht, die ihnen nicht gelingen kann. Stattdessen müssten sie lernen, ihre eigene Unzufriedenheit zu verstehen, um aus dieser Erkenntnis heraus die Realität zu verbessern. Sonst bleibt es immer eine Flucht.

Vielleicht wollte auch der junge Mann im Zug aus seiner Realität flüchten. Möglicherweise interessiert ihn seine Freundin nur wenig. Dann sollte er die Partnerschaft überdenken. Das geht allerdings nicht mit Angry Birds auf dem Bildschirm. Aber wahrscheinlich liegt ihm seine Partnerin am Herzen. Auch dann sollte er sein Smartphone beiseite legen und sich ihr zuwenden. Wer im Beisein anderer Menschen ständig aufs Display schielt, signalisiert, dass er eigentlich gern woanders wäre. Dieses Verhalten ist ungesund für jede Art von Beziehung.

Du siehst, es gibt viele Gründe, seltener aufs Handy zu schauen:

  • Wir werden produktiver (und damit zufriedener)
  • Wir empfinden weniger Stress
  • Wir verlassen die Abwärtsspirale aus negativen Gefühlen
  • Wir verbessern unsere Beziehungen

Weniger aufs Handy schauen – so geht’s

Es ist schwer die Handysucht zu besiegen. Wäre es leicht, würden wir nicht alle 11 Minuten aufs Display schauen. Deshalb müssen wir uns selbst helfen, indem wir uns das Leben leichter machen. Hier sind einige Tipps, wie es dir Schritt für Schritt gelingen kann:

  • Push-Meldungen abstellen: Sobald das Handy einen Laut von sich gibt, müssen wir draufschauen. Stelle deshalb so viele Benachrichtigungen wie möglich ab. Mein Smartphone meldet sich nur noch bei Textnachrichten und Anrufen.
  • Signale deaktivieren: Mein Handy ist meistens lautlos, aber vibriert noch (ziemlich stark). Wenn ich mir das Leben erleichtern möchte, stelle ich vorübergehend alle Signale aus.
  • Apps deinstallieren: Alles, was keine nützliche Funktion erfüllt, fliegt bei mir regelmäßig wieder runter. Je weniger Apps, desto weniger Versuchungen. Ich rufe nicht einmal mehr E-Mails übers Handy ab.
  • Für 10 Minuten ausschalten: Dieser Tipp stammt von myMONK. Tim schlägt vor, das Handy für 10 Minuten auszuschalten. Das ist nicht viel. Das kann jeder. Du wirst merken, dass die Welt nicht untergeht. Mit der Zeit kannst du dich langsam steigern. Vielleicht wird es bald zur Routine, das Gerät zu bestimmten Zeiten auszuschalten.
  • Kein Handy im Schlafzimmer: Wenn du irgendwann mal Ruhe haben willst, nimm dein Handy nicht mit ins Bett. Seit unserer Challenge ist das Schlafzimmer bei mir eine handyfreie Zone. Immerhin für acht Stunden gerate ich nicht in Versuchung.
  • Altmodisch wecken lassen: Du nutzt die Weckfunktion deines Smartphones? Dann besorge dir einen richtigen Wecker. Neben meinem Bett steht ein einfacher Analogwecker. Tick Tock.
  • Zu Hause lassen: Erlaube dir, das Handy auch mal zu Hause zu lassen. Beim Spaziergang, beim Sport, beim Einkaufen. Es geht auch ohne. Diese Erkenntnis wirkt befreiend. Für kurze Wege habe ich es oft nicht dabei.
  • Auszeiten definieren: Auch zu Hause kannst du dir bewusste Auszeiten nehmen. Wann möchtest du dir Ruhe gönnen? Vor’m Frühstück? Beim Essen? Am Abend? Nimm sie dir. Falls du es nicht allein schaffst, vereinbare mit jemandem eine Challenge. Versprecht euch gegenseitig, das Handy zur vereinbarten Zeit nicht zu nutzen.
  • Unterstützende Apps: Die Handysucht wird zum Business. Deshalb gibt es einige Apps, die dir dabei helfen, deine Handynutzung in den Griff zu bekommen. Einige zeigen dir an, wie häufig und lange du dein Handy nutzt (Menthal), andere nehmen das Handy für eine gewisse Zeit vom Netz (Offtime) oder deaktivieren bestimmte Apps (Greenify).
  • Alternative Beschäftigung: Für den Moment, in dem dir langweilig ist und du zum Handy greifen würdest, brauchst du eine Alternative. Ich habe fast immer ein Buch dabei. Zeitschriften gehen auch. Manchmal beobachte ich nur Menschen oder schaue aus dem Fenster. Wichtig ist nur, eine neue Routine zu entwickeln.
  • Handy außer Sicht: Wenn du einfach nicht die Finger vom Handy lassen kannst und dich immer wieder von der Arbeit abhältst, verstaue es an einem schwer zugänglichen Ort – am anderen Ende des Büros oder deiner Wohnung. Somit erhöhst du den Widerstand für dein Laster. Das ist gut!

Das alles sind natürlich nur kleine Hacks. Sie können helfen, wenn das Verlangen in dir aufflammt. Aber sie heilen nicht die grundsätzliche Sucht. Wenn du immer wieder zugreifst und dich auch noch schlecht dabei fühlst, räume zunächst in deiner Realität auf. Frage dich: Warum schaue ich aufs Handy? Welches Gefühl soll mir das geben? Gibt es mir das wirklich? Was fehlt mir und wie kann ich es anderweitig bekommen?


Fotos: Pärchen im BettMädchen mit Handy, trauriges Paar auf Sofa von Shutterstock

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