Warum ich mich aus sozialen Netzwerken zurückziehe

Zum Beitrag

Hier kannst du dir den Beitrag anhören

Ich habe genug von sozialen Netzwerken. Sie nehmen mir mehr, als sie mir geben. Deshalb zog ich vor zehn Tagen die Reißleine. Das wollte ich schon häufig tun, dachte aber, dass ich es aus verschiedenen Gründen nicht könnte: Viele Leser erfahren von meinen Texten nur über Facebook und über die Messenger-Funktion kommuniziere ich mit Freunden.

Jetzt habe ich einen Weg gefunden, die Vorteile mitzunehmen, ohne die Nachteile zu ertragen. Warum ich darauf nicht früher gekommen war, ist mir schleierhaft. Vielleicht wollte ich es insgeheim einfach nicht wissen. Dabei ist der Weg naheliegend: Meine Profile bleiben erhalten, aber ich folge niemandem mehr. So kann ich meine/unsere Fanseiten pflegen und Kontakt halten, ohne zu sehen, was andere so treiben.

Durch meine News-Streams bei Facebook, Twitter und Instagram wehen nur noch Strohballen. Aus Gewohnheit schaue ich immer noch mehrmals am Tag vorbei und stelle jedes Mal fest: es ist nichts passiert. Niemand teilt einen Sonnenuntergang, erlebt die Party seines Lebens, wird stolzer Papa, solidarisiert sich mit Frankreich oder schaut wie eine Ente in die Kamera.

Warum ich nicht mehr dabei sein will

Soziale Netzwerke geben mir einerseits das Gefühl, am Leben meiner Freunde teilzuhaben, obwohl wir voneinander getrennt sind. Auf der anderen Seite neige ich dazu, mich seltener bei ihnen zu melden, denn ich weiß ja bereits über alles Bescheid. Ich sehe alle paar Tage etwas von ihnen, also warum eine Nachricht schreiben oder gar anrufen?

Nach einer Weile sickert zudem immer mehr das Gefühl durch, nicht dabei, sondern ausgeschlossen zu sein. Mit allem, was meine Social-Media-Freunde erleben, habe ich nichts zu tun. Aber warum eigentlich nicht? Warum hat mich niemand gefragt? Wenn sie so viel Zeit für schöne Erlebnisse haben, sollen sie sich gefälligst mal bei mir melden. Das ist Eifersucht.

Dann sind da noch die Vergleiche: Die meisten Menschen teilen nur die besonderen Momente. Es sind kurze Schnappschüsse aus der Realität. Vielleicht sind sie nur einmal im Monat für fünf Minuten glücklich, und genau das bekomme ich zu sehen. Es fällt mir schwer, das richtig einzuschätzen, da ich jeden Tag Dutzende Fotos präsentiert bekomme. Ich sehe nur: Freund A ist glücklich, jetzt und für immer, mit all den Dingen, die mir fehlen!

Solche Vergleiche machen unglücklich, da wir unsere Unzulänglichkeit erkennen das perfekte Leben zu führen, während es doch allen anderen (vermeintlich) gelingt. Soziale Medien geben uns so viel Futter, um uns ständig zu vergleichen und machen viele Menschen deshalb unglücklich.

Ich weiß, dass es nicht nur mir so geht. Ein Experiment des Happiness Research Institute in Dänemark mit 1.095 Teilnehmern zeigt, dass Facebook auf die Stimmung drückt (für andere Netzwerke gilt sicher Ähnliches).

Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen eingeteilt. Die Testgruppe verzichtete eine Woche lang auf Facebook, die Kontrollgruppe machte weiter wie bisher. 94 Prozent aller Teilnehmer nutzten Facebook bis dahin täglich, 86 Prozent überflogen ihren News-Feed mehrmals am Tag, die meisten verbrachten mindestens 30 Minuten täglich auf Facebook. Die Hälfte von ihnen gab an, auf die Erlebnisse ihrer Freunde neidisch zu sein, ein Drittel ist neidisch darauf, wie glücklich ihre Freunde auf Fotos aussehen.

Am Ende der Woche fühlten sich die Teilnehmer der Testgruppe (Facebook-Verzicht) spürbar besser. Sie waren weniger traurig, weniger einsam und gelassener. Ihre Lebenszufriedenheit stieg im Durchschnitt signifikant an. Ich habe kein Problem, das zu glauben.

Wie es jetzt weitergeht

Ich möchte nicht neidisch auf meine Freunde sein. Ich möchte selbst etwas mit ihnen erleben und wenn das nicht möglich ist, will ich mir zumindest davon erzählen lassen. Ich bin mir sicher, dabei wird es dann nicht um Partys, Cupcakes und Sonnenuntergänge gehen. Wenn sie mit mir reden, schauen sie mich nicht mit Duckface oder einem gestellten Grinsen an, sondern freuen sich ehrlich über schöne Erinnerungen, die sie mit mir nachträglich teilen können. Das will ich, ich will das Echte!

Ob es funktioniert, so wie ich es mir vorstelle, oder ob ich mich nur weiter von anderen entferne, wird sich zeigen. Immerhin spüre ich erste Veränderungen bei mir selbst. Seit ich keine Momentaufnahmen mehr sehe, wächst mein Verlangen, mich bei Freunden zu melden und habe es bereits getan.


Foto: Social Networking von Shutterstock

Ähnliche Artikel

33 Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert