Wie es sich anfühlt, dick zu sein

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Neulich schrieb mir ein Healthy-Habits-Leser eine E-Mail. Er hatte einige meiner Texte über gesunde Ernährung gelesen, aktuelle Fotos gesehen und dachte: „Toll, wieder so ein gesunder Freak, der alle mit Tipps zumüllt, aber keine Ahnung hat, was es bedeutet dick zu sein.“ Erst als er meine Geschichte las, verstand er, dass er damit falsch lag.

Nicht nur, dass ich kein gesunder Freak bin: Ich weiß tatsächlich was es bedeutet, dick zu sein. Ich war es die meiste Zeit meines Lebens. Ich war nicht nur kräftig, sondern dick. Genau genommen, ist auch das eine Untertreibung. Denn ich war nicht nur dick, sondern fett. Zwar mag ich dieses Wort nicht, aber es heißt schließlich Fettleibigkeit, nicht Dickleibigkeit. Die Grenze zwischen Übergewicht und Fettleibigkeit verläuft bei einem Body-Mass-Index von 30. Von dessen Aussagekraft mag man halten, was man will, aber mein BMI lag vor fünf Jahren bei 40. Da hätte jede Kennzahl Alarm geschlagen!

Die E-Mail unseres Lesers nehme ich zum Anlass etwas zu veröffentlichen, das ich bereits vor einigen Monaten notiert hatte: Wie es sich anfühlt, dick zu sein. Damals schrieb ich meine Erinnerungen auf, nachdem ich den Roman Fat Chance von Nick Spalding gelesen hatte. Das Buch handelt von einem übergewichtigen Pärchen, das im Rahmen einer Radioshow ordentlich abspeckt. Lachen konnte ich über das vermeintlich lustige Buch nicht, aber ich erkannte mein früheres Ich in den Beschreibungen wieder.

Ob eine schlanke Person diese Situation nachvollziehen kann, weiß ich nicht. Wahrscheinlicher ist, dass sich Menschen von diesem Text angesprochen fühlen, die in einer ähnlichen Lage waren oder sind. Sie werden sich darin wiederfinden und hoffentlich zwei Dinge erkennen: Sie sind nicht allein und es ist nicht alle Hoffnung verloren.

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Unangenehme Situationen als Übergewichtiger

Damals geriet ich immer wieder in Situationen, die mir unangenehm waren. Zum Beispiel, als bei mir im Alter von 16 Jahren Bluthochdruck diagnostiziert wurde. Eine nicht ganz ungefährliche Erkrankung, aber schlimmer als die damit verbundene Gefahr war für mich die Scham, diese Krankheit selbst verschuldet zu haben. Zweimal wurde ich mit einem Messgerät ausgestattet, das 24 Stunden lang immer wieder meine Werte aufzeichnete – leider nicht geräuschlos. Damit saß ich im Klassenzimmer herum. Einmal pro Stunde brummte es los, sodass es auch wirklich jeder Mitschüler hören konnte.

Apropos Schule: Einmal brach ein Stuhl unter mir zusammen. Es war einer dieser schlecht geschweißten DDR-Stühle, aber nach der Qualität des Stuhls fragt niemand. Viele Jahre später gab auch ein alter Kino-Klappsessel unter mir nach. Der Bruch verursachte einen lauten Knall im Saal.

Manchen Stühlen sah ich schon an, dass sie es schwer haben würden. Einmal saß ich bei einem Kunden auf dem wahrscheinlich billigsten Stuhl, den man bei IKEA kaufen kann. Er hielt mir stand, aber wahrscheinlich nur, weil ich mich nie ganz entspannt zurücklehnte.

Flüge sind bei meiner Körpergröße ohnehin unangenehm, aber mit 150 Kilos fast unerträglich. Die Anschnallgurte ließen sich immerhin noch schließen – gerade so. Manchmal konnte ich an den niedergeschlagenen Blicken meiner Sitznachbarn erkennen, dass sie nicht begeistert waren, zehn Stunden neben mir sitzen zu müssen. Wäre ich auch nicht gewesen!

Kleidung sah an mir nie gut aus. War sie eng, wirkte ich hineingepresst. War sie weit, so ist das eben typische Kleidung für Dicke. Meine Hosen kaufte ich mir gern grenzwertig eng, weil ich glaubte in nächster Zeit bestimmt noch ein paar Kilos zu verlieren oder zumindest nicht weiter zuzunehmen. Beide Annahmen waren unbegründet.

Beim Tauchen passte mir selten ein Neoprenanzug. Einmal riss beim Anziehen der Reißverschluss ab. Im heißen Ägypten tauchte ich einfach ohne. Nur in den USA und in Mexiko – den zwei „dicksten“ Ländern der Welt – hatte ich jedoch keine Probleme:

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In Thailand fühlte ich mich oft ungläubig angestarrt, da ich dreimal mehr auf die Waage brachte, als ein durchschnittlicher Thai.

In einer Kletterhalle fragte mich der junge Mann, der mich sichern sollte, wie viel ich wiegen würde. Ich wusste es nicht und stapelte tief: „vielleicht 120 Kilos?“. Das stimmte offensichtlich nicht, denn als ich von der Wand fiel, hob er gleich mit ab.

Situationen, die ich mied

Manche Situationen mied ich komplett, da mein Schamgefühl zu groß war. So ging ich nie in die Sauna oder ins Schwimmbad. Überall, wo ein freier Oberkörper angebracht gewesen wäre, war ich nicht dabei. Auch heute trage ich meistens noch ein T-Shirt, aber ich nähere mich langsam an.

Auch Mannschaftssport war nicht meins. Da ich als Kind schon keinen Sport trieb, war ich in keiner Sportart gut und dazu noch schwer übergewichtig. Das wollte ich mir nicht geben!

Ich mied auch Blicke in den Spiegel. Mehr als ein paar Sekunden waren nicht drin. Deshalb ging ich nie gern zum Friseur (aber auch, weil ich keinen Small Talk halten will). Auch Fotos ließ ich kaum von mir machen und wenn doch, schaute ich sie mir nicht an. Folglich schenkte ich meinen Großeltern nie ein Foto von ihrem Enkel. Der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, war nicht meine Stärke. Daher stieg ich viele Jahre auch nicht auf eine Personenwaage.

Ging ich gemeinsam mit anderen Essen, so aß ich meist weniger, als ich eigentlich wollte. Ich mochte Buffets ob der üppigen Auswahl, aber ich wäre nie als erster zum Buffett gegangen! Was würden die Leute denken?

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Übergewicht ist am schlimmsten im Kopf

Ich hatte häufig das Gefühl angestarrt zu werden. Ständig machte ich mir Sorgen, was andere über mich und mein Aussehen denken könnten. Zwar denken andere Menschen nicht so oft an mich, wie ich es befürchte (oder manchmal erhoffe), denn jeder ist genug mit sich selbst beschäftigt. Dennoch glaube ich, dass Menschen bei einem 150-Kilo-Mann zuerst denken: „Man, ist der dick!“

So denke ich auch selbst, wenn ich einen fettleibigen Menschen sehe. Es ist das Erste, was mir (ungewollt) in den Kopf schießt. Schließlich fällt auf, was von der Norm abweicht. Damit muss nicht zwangsweise eine Wertung verbunden sein, aber Fettleibigkeit ist gemeinhin negativ belegt, somit kommt die Bewertung fast automatisch dazu.

Da ich meine eigenen Gedanken kannte, ging ich davon aus, von anderen missbilligend angeschaut zu werden. Bestätigt wurde meine Vermutung durch manchen giftigen Spruch. Der Spott anderer Menschen ging nicht spurlos an mir vorbei, aber ich kam zurecht. Es gehörte irgendwie dazu. Getroffen hat mich allerdings, wenn mich jemand aus der Familie als „fettes Schwein“ bezeichnete oder sich über die körperlichen Folgen meines Übergewichts lustig machte. Das werde ich nicht mehr vergessen.

Die Blicke und Sprüche sowie die eigene Selbstzerfleischung zehrten an meinem Selbstwertgefühl. Ich entwickelte ein Schamgefühl, das bis heute nicht ganz verschwunden ist. Scham für meine Existenz. Ich war überzeugt, dass es in meiner Situation mit einer Partnerschaft ohnehin nichts wird und auch von diesem destruktiven Gedanken muss ich mich heute noch mühsam lösen.

Mein schwaches Selbstwertgefühl versuchte ich mit Süßigkeiten, Eiscreme, Cola & Co. herunterzuspülen. Je mehr ich aß, desto schlechter fühlte ich mich mit mir selbst und desto mehr aß ich. Die Lage wirkte lange Zeit ausweglos, da mein Übergewicht mich überwältigte. Wie den Leser, der mir die bereits erwähnte E-Mail schrieb. Er fühlt sich paralysiert, weil er sein Gewicht halbieren muss, um schlank zu sein! Ich kann diese Lähmung gut nachvollziehen. Bei mir mussten 60 Kilogramm verschwinden. Das schien utopisch. Wie lange sollte das denn dauern? Es war einfacher weiter zu essen.

Ich weiß nicht, ob man in dieser Situation von außen helfen kann, schließlich ist es größtenteils Kopfsache. Ich fühle mich dabei an ein Zitat erinnert: „Einsamkeit ist eine Gefängniszelle, die sich nur von innen öffnen lässt.“ Ersetze Einsamkeit durch Übergewicht und die Aussage bleibt wahr.

Im Jahr 2010 gelang es mir, meine Zelle zu öffnen. Ich hatte damals einen Auslöser, der mich länger motivierte als bis zur nächsten Mahlzeit: Bei einer USA-Reise rüttelten mich die übergewichtigen Menschen, Diabetes-Diskussionen, Donuts zum Frühstück und das allgegenwärtige Fast Food endgültig auf. Ich verstand, dass es so nicht weitergehen konnte.

Jeder muss seinen eigenen Auslöser finden. Vielleicht ist es ein Buch, eine Fernsehsendung, ein persönliches Erlebnis, ein Gespräch mit einem Freund oder dieser Blogartikel. Sobald der Auslöser da ist, geht es „nur“ noch darum die richtigen Gewohnheiten zu etablieren. Die sind überschaubar. Welche das sind, erfährst du hier im Blog und in unseren Büchern:

Es ist kein Zufall, dass wir unsere ersten drei Bücher zu genau diesen Themen geschrieben haben. Unabhängig voneinander waren Jasmin und ich über Jahre/Jahrzehnte unzufrieden mit unseren Körpern, bis wir zum gleichen Ergebnis kamen, wie Ernährung und Bewegung für uns funktionieren.


Foto: Dicker mann joggt von Shutterstock

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