Glück – was ist das eigentlich?

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Linna ist 17 Jahre alt. Sie ist meine (Stief-) Schwester und macht gerade Abitur. Folgenden Vortrag hat sie für die Schule über das selbst gewählte Thema Glück geschrieben – und uns damit tief beeindruckt:


Glück ist, genug zu essen zu haben. 

Glück ist, in einem warmen zu Hause zu schlafen. 

Glück ist, Teil einer Familie zu sein. 

Glück ist, Gesundheit zu genießen, Freunde zu haben und zu lieben.

Obwohl das meiste davon auf uns alle zutrifft, wollen wir glücklich werden.

Wir sind es also nicht.

Glück – das stellt vermutlich das finale Ziel der Menschheit dar, denn alles, was wir tun, zielt kurz- oder langfristig darauf ab, das Glück zu fassen zu bekommen.

Wir suchen nach Lebensqualität, nach seelischer Ausgeglichenheit, wollen uns in Zufriedenheit wiegen, Wohlbefinden und Freude verspüren. Doch das menschliche Glücksstreben kommt dem Tappen im Dunkeln sehr nahe. Im Stockdunkeln. Ohne Taschenlampe.

Wir wissen nicht, wo wir suchen sollen. Wir wissen noch nicht einmal, wie wir herausfinden können, wo wir suchen sollten. Niemand kann es uns sagen. Sogar die Technik versagt an diesem Punkt – sonst Ratgeber für alles. Auch Apps wie 3D-glück, tagebuch happy me oder Glück mermaid 777 können uns schwerlich verraten, wie und wo das Glück zu finden ist.

Richtig kompliziert wird die Sache vor allem dadurch, dass das Glück eines jeden wohl an einem ganz individuellen Ort versteckt liegt. Wir tasten uns also unsicher voran, in der Hoffnung, irgendwann auf eine alte Truhe zu stoßen, die uns beim Öffnen in gleißendes Licht taucht. Ganz ähnlich einer Schatzsuche im Labyrinth – ohne Licht. Aber vielleicht gilt hier die Devise: wer sucht, der findet nicht.

Denn wer sucht, begibt sich auf eine Reise, im Glauben, das Glück irgendwo finden zu können. Nur nicht bei sich.

Oder besteht genau darin der Sinn des Reisens? Dass man am Ende seines langen Weges zu der Erkenntnis gelangt, dass das Glück vor der Haustür liegt?

Der Verstandes gesteuerte Mensch begegnet der Problematik mit folgender Antwort: Glück ist planbar. Das heißt auch, dass jeder für sein Glück arbeiten muss. Die Reise ins Blaue lässt sich also in Stufen einteilen und damit erheblich konkretisieren. Sie wird berechenbar.

Eine Treppe zum Glück?

Wir alle tun auch jeden Tag einen nächsten Schritt zum Glück. Wir eröffnen uns Chancen für das spätere Leben oder wir wahren sie uns jedenfalls. Nach dem Lernen folgt die Kette hin zum Job, Erfolg, Geld und Status.

Die Leiter der extrinsischen, von außen bestimmten, Aktivitäten. Sprosse um Sprosse, Stufe um Stufe werden wir Herr über die Mittel zum Zweck. Oder doch deren Untertan?

Sie sind rational leicht zu erfassen, bergen jedoch ein Risiko: die Gewöhnung.

Ein Freund muss sich nicht nach 5 Jahren einem Upgrade unterziehen, damit uns die Zeit mit ihm weiterhin glücklich macht. Das Gehalt schon.

Wir suchen uns nicht nach 3 Jahren eine neue Familie aus, weil uns die alte keine Freude mehr macht, aber wir brauchen spätestens nach drei Jahren neue Statussymbole, um uns zu definieren.

Sind wir trotzdem einmal oben angekommen – vielleicht als erfolgreicher Manager mit Porsche und Villa garantiert uns keiner, dass wir auch wirklich glücklich sind oder werden. Vermutlich wären wir glücklicher, würden wir unseren Fokus auf intrinsische Aktivitäten verlagern, also überwiegend Dinge um ihrer selbst Willen tun.

Wer von sich meint das zu können, sollte folgende Überlegung tätigen: die meisten gehen einem Beruf nach, um Geld zu verdienen.

Wir verdienen Geld, um Bedürfnisse befriedigen zu können und uns Wünsche zu erfüllen.

Wir befriedigen unsere Bedürfnisse und erfüllen uns Wünsche, um glücklich zu werden. Aber verbringen wir unsere Zeit mit der Familie oder Freunden, macht uns das gleich glücklich – meistens jedenfalls. Vielleicht hatten wir anfangs den Plan, Mittel anzuhäufen, um diese dann einzusetzen.

Als ich 5 Jahre alt war, hat meine Mutter mir immer gesagt, dass Glück der Schlüssel zum Leben ist. Als ich zur Schule ging, fragten sie mich was ich werden will wenn ich groß bin. Ich schrieb ‚glücklich‘. Sie sagten mir, dass ich die Aufgabe nicht verstanden habe, aber ich sagte ihnen, dass sie das Leben nicht verstanden haben. (John Lennon)

Vielleicht kennt jemand das Zitat von John Lennon (siehe oben), in dem er beschreibt in der Schule auf die Frage, was er einmal werden wolle, mit „Glücklich“ geantwortet zu haben. Anschließend soll man ihm gesagt haben, er habe die Frage nicht verstanden, worauf er entgegnete, sie hätten das Leben nicht verstanden.

Vielleicht ist also der materielle Umweg zum Glück gesellschaftlich erzwungen. Vielleicht bleiben manche vor dem Glück stehen oder verfallen der extrinsischen Spirale der Gewöhnung – und damit dem Wahn immer mehr zu wollen, im Glauben irgendwann glücklich zu werden. Vielleicht sind die, die vor dem Glück stehen bleiben, aber auch die Glücklichen.

Denn Glück bedeutet auch Zustand des Ankommens, des Erreichens, der Zustand frei von Streben, Zielen und Wünschen. Wir können also nur glücklich sein, wenn wir uns selbst für glücklich halten.

Dazu muss man sich eingestehen, dass das eine Glück ein evolutionär eingerichtetes unerreichbares Ziel bleibt, das Antriebskraft für all unseren Entwicklungen bietet, während das andere Glück dieses ist, sich im Jetzt dieser Erkenntnis zu stellen und sich selbst in der eigenen Gegenwart als glücklich zu definieren.

Linna Zimmermann


Foto: Frau beim Sonnenuntergang von Shutterstock

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