Wohin ist nur die Leichtigkeit?

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Was mich am Älterwerden am meisten stört, ist die schwindende Leichtigkeit. Es wird immer schwerer, herumzualbern und sich gehen zu lassen. Umso mehr bewundere ich Erwachsene, die das können. Ich bin fasziniert von Eltern, die Quatsch mit ihren Kindern machen und alles um sich herum vergessen. In solchen Situationen stehe ich daneben und weiß nicht so recht, wohin mit mir.

Normalerweise tragen Kinder kiloweise Leichtigkeit in sich. Sie leben jeden Tag, als wäre er der einzige und denken nicht an morgen oder nächste Woche. Kinder haben kaum etwas zu entscheiden oder richtig zu machen. Das war auch in meiner Kindheit so. Die schwierigsten Fragen lauteten damals: Spielen wir draußen Fußball oder drinnen Lego? Sprite oder Apfelschorle? Zwei oder drei Portionen Nudeln?

Irgendwann werden aber auch Kinder spürbar älter. Bei mir fing das vergleichsweise früh an. Im Kindergarten spielte ich am liebsten Rot-As mit der Kindergärtnerin. Noch lieber spielte ich Schule, weil ich gern Schreiben lernte. Alle prophezeiten mir Langeweile in der ersten Klasse und sie sollten Recht behalten. Im Gymnasium wollte ich zunehmend mein eigenes Ding machen und freute mich deshalb ungefähr ab der neunten Klasse auf die Uni.

Das Studium fiel mir leicht, da meine Eltern es finanzierten und ich das Lernen bereits in der Schule gelernt hatte. Meine Welt war klein und überschaubar. Sie bestand aus Vorlesungen, Uni-Sport und Uni-Partys. Zwar dachte ich mittlerweile etwas langfristiger und verbrachte ein Semester in Mexiko, aber die echte Welt da draußen schien immer noch sehr weit weg.

Diese Unbeschwertheit währte bis in meinen ersten Job hinein. Das lag an der Startup-Atmosphäre und dem Learning by Doing. Zudem bekam ich für relativ leichte Arbeit, die auch noch Spaß machte, mehr Geld, als ich ausgeben konnte. Deshalb dachte ich mit 20 das erste Mal an Altersvorsorge – ein Indiz dafür, dass ich die Reste meiner Jugend langsam abstreifte.

In den Jahren darauf folgten Ereignisse, die Erwachsenwerden beschleunigten und die Leichtigkeit weiter bröckeln ließen: der erste Streit mit dem Vermieter, die eine oder andere Trennung, diverse Umzüge und die Ernüchterung, dass man ersetzbar ist, wenn man ein Unternehmen verlässt.

Mit diesen Erfahrungen im Gepäck ging ich zum Masterstudium und gehörte dort zu den Älteren, denn die meisten Kommiliton*innen hatten im Gegensatz zu mir nach dem Bachelor nahtlos weiterstudiert. Manche schienen grün hinter den Ohren und manche beneidete ich darum. Sie genossen das Studentenleben, feierten und glänzten durch Abwesenheit, während ich pendelte, viel arbeitete, nochmal umzog und die Existenzängste meines damaligen Partners mittrug. Diese Zeit konnte nicht leicht sein. Meine überschaubare Leichtigkeit schwand daher weiter. Gerade in diesen Jahren verdunstete sie so unbemerkt wie das Wasser in einem Glas. Erst als ich nach längerer Zeit wieder hinsah, fiel mir der Unterschied auf.

Im Vergleich zu damals ist heute vieles leichter. Ich verdiene meine Brötchen; ich pendle nicht mehr und muss keine Vorgesetzten beeindrucken. Trotzdem kann ich das Rad nicht zurückdrehen. Die Leichtigkeit lässt sich nicht wieder anknipsen.

Vielleicht lag sie mir auch noch nie so richtig im Blut. Möglicherweise verträgt sich Leichtigkeit nicht mit meinem Hang zur Tiefe? Wir Introvertierten und Hochsensiblen können uns zumindest damit trösten: Viele Dichter und Denker gehörten zur dieser eher ernsten Sorte Mensch mit Hang zur Melancholie. Das erinnert mich an ein Zitat des englischen Philosophen John Stuart Mill:1

Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr. Und wenn der Narr oder das Schwein anderer Ansicht sind, dann deshalb, weil sie nur die eine Seite der Angelegenheit kennen.

Nicht, dass wir alle unzufrieden wären. Aber hin und wieder würde ich mein Gedankenkarussell gern gegen eine Portion Leichtigkeit eintauschen.

Die Nachteile von zu wenig Leichtigkeit

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Wenn es an Leichtigkeit fehlt, konzentriert man sich nur noch auf Probleme und Ungerechtigkeiten. Man ist selten gelöst und kann schwer abschalten. Ich bin beispielsweise eine chronische Bedenkenträgerin. Wenn andere auf Hochzeiten begeistert Luftballons steigen lassen, habe ich ein überwiegend schlechtes Gefühl. Wenn sich andere über ein Feuerwerk freuen, denke ich an die Tiere, die gerade Todesangst haben.

Als Bedenkenträger*in versucht man manchmal auch, andere Menschen zu bekehren, sei es weniger Fleisch zu essen oder Plastikmüll zu vermeiden. Oft ist Weltschmerz eine Motivation dafür. Man denkt an Elektroschrott, während andere ihr nagelneues Handy präsentieren; man sieht Windelmüllberge vor seinem inneren Auge, während andere ihr Baby wickeln. Ob jedoch Weltschmerz eine Ursache für mangelnde Leichtigkeit oder die Folge davon ist, weiß ich nicht. Was ich jedoch aus eigener Erfahrung weiß, ist, dass man das Leben nicht mehr genießen kann, wenn die Schwere überhandnimmt.

Fehlende Leichtigkeit macht außerdem skeptisch und ängstlich. Man macht sich ständig Sorgen oder fühlt vorausschauenden Kummer. Man bedauert z. B. weit im Voraus, dass Familienmitglieder oder das Haustier irgendwann sterben, oder man bereit sich mental darauf vor, dass jemand einen Unfall haben könnte und dass dann die Polizei vor der Tür stünde, um die Nachricht zu überbringen.

Ängste halten uns aber auch klein. Sie sorgen dafür, dass wir uns (immer) weniger zutrauen. Wir klettern nicht mehr leichtfertig auf Bäume, weil wir die Risiken kennen. Das klingt vernünftig, doch die Risikoaversion hat ihre eigenen Risiken und Nebenwirkungen, die ganz nebenbei auch noch unsichtbar sind. Wenn wir beispielsweise unser Geld bei null Zinsen auf dem Konto lassen, fühlt sich das sicher an. Der Wert schrumpft jedoch unaufhaltsam.

Die Vorteile mangelnder Leichtigkeit

Mangelnde Leichtigkeit hat auch ihre guten Seiten – und es wäre untypisch für mich, diese unter den Tisch fallen zu lassen. Ich kann die Dinge beispielsweise gut durchdenken, analysieren und abwägen. Mir wird nicht langweilig, sie zu sezieren und mich so auch in schwierige Themen einzufuchsen. Andernfalls hätte ich die meisten Texte in diesem Blog nicht schreiben können und das Programmieren nach zwei Tagen aufgegeben.

Positiv ist zudem, dass ich mir böse Überraschungen erspare. Schließlich habe ich mir den Worst Case schon ausgemalt. Während unbeschwerte Menschen losstürmen, durchdenke ich alles zweimal. Ich vermeide Schnellschüsse, verpasse dadurch aber auch gute Chancen.

Das wird mir immer wieder bei Fuckup Nights bewusst. Auf diesen Veranstaltungen sprechen Menschen übers Scheitern, sei es aufgrund der falschen Geschäftsidee, bürokratischer Umstände oder mangelnder Erfahrung. Manche Gründer*innen haben sich ohne jedes Vorwissen in ein Business gestürzt, was mich immer wieder fasziniert. Es ist das Gegenteil von dem, was ich tun würde.

Was tun für mehr Leichtigkeit?

Manche Stimmen behaupten, man könne sich das Kindliche und Spielerische erhalten, wenn man älter wird. Ich aber frage mich, wie das gehen soll. Soll ich mir eine kostenlose Wiener an der Fleischtheke geben lassen – so wie früher? Oder das nächste Steuerformular einfach ein bisschen ausmalen?

Ein Anfang wäre zumindest, wenn ich unnötige Lasten vermeide. Das kann ich tun, indem ich mich weniger damit beschäftige, was nicht in meiner Macht liegt oder mich nichts angeht. (Ich habe schon erörtert, warum uns Empathie nicht immer weiterhilft.) Eine unnötige Last ist auch die Tretmühle, in der viele von uns gefangen sind. Sie geben viel Geld aus, müssen daher viel verdienen, also arbeiten sie viel, wofür sie sich durch mehr Konsum entschädigen müssen usw. Im Gegensatz dazu wird alles leichter, wenn wir unser Leben klein und unsere Ausgaben gering halten. Dann kann man eine Auszeit nehmen oder den Beruf wechseln, ohne sich finanziell zu ruinieren.

Eine weitere Last ist Perfektionismus. Wir Kopfmenschen sollten deshalb mehr auf unseren Bauch hören, als alles mit dem Verstand lösen zu wollen. Kinder wissen schließlich auch sofort, ob sie lieber Schoko oder Vanille oder beides möchten. Sie folgen ihren Impulsen, anstatt diese mit Rationalität abzutöten. Was spricht dagegen, sich endlich für den Gitarrenkurs anzumelden, den man schon immer machen wollte? Einer fixen Idee zu folgen und schnell anzufangen, ist sogar typisch für mich. Viele Artikel sind so entstanden – auch wenn ich im Schreibprozess so viel umschreibe, dass fast ein neuer Text dabei herauskommt.

Vielleicht fehlt mir aber auch gar nicht so viel Leichtigkeit, wie es auf den ersten Blick scheint. Darauf brachte mich eine Freundin, die es als ein Fokusproblem ansieht. Ihrer Ansicht nach könne man sich auf das Ernste und Schwere in seinem Leben einschießen. Die Lösung sei, den Blick bewusst auf das Lockere und Leichte zu richten. Es gäbe genug Situationen dieser Art, aber man müsse hinsehen.

Sicher übersehe ich im Alltag vieles, während ich mit mir selbst, meinen Gedanken oder meinem Handy beschäftigt bin. Daher versuche ich mittlerweile, meinen Blick zu öffnen für leichte Momente in meinem Leben und siehe da: Es gibt sie. Zum Beispiel wenn andere Menschen überraschend freundlich sind, wenn sie mich an der Kasse vorlassen oder mir etwas Nettes sagen. Vielleicht hilft es, darüber Buch zu führen?

Meine Oma notierte jedenfalls die Weisheiten, die mein Bruder und ich als Kleinkinder zum Besten gaben. Beispielsweise überlegten wir einmal, ab welchem Alter man eigentlich eine Oma sei. So mit 60, 66 oder 70 Jahren? Wie herrlich und niedlich mir diese Überlegung heute vorkommt!

Überhaupt sollte ich noch mein Faible für Niedliches anführen. In meinen Augen sind sehr viele Dinge niedlich: die noch so hässliche Promenadenmischung, eine buschige Pflanze, sowieso die meisten Tiere sowie Tiere aus Plüsch und anderen Materialien – und manchmal auch Kopfkissen oder Handtücher, in deren Umrissen ich ein Lebewesen erkenne.

Und natürlich Schafe. Vor allem Schafe. Wenn ich Schafe sehe, reagiere ich so, wie andere Menschen, die sich über einen Kinderwagen beugen. Schafe lassen mich „Oooohr“ sagen, lächeln und strahlen. Sie wecken das Kind in mir.

Schafe sind mein kleiner Dachschaden, den ich nicht reparieren werde. Schließlich sorgt er für eine Prise Leichtigkeit in einer manchmal schweren Welt.

Vielleicht sollte ich viel öfter an Schafe denken. Und was ist mit dir?


Vielleicht hast du auch so ein Element in deinem Leben, das du noch nie in diesem Licht gesehen hast? Manchmal macht es einen großen Unterschied, wenn wir die Dinge aus einem neuen Blickwinkel betrachten. Wenn du einen Impuls dazu hast, freue ich mich auf deinen Kommentar.

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Quellen

  1. Wikiquote: John Stuart Mill
Tags: / Kategorie: Feel

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