Warum wir uns ungern entscheiden und was dabei hilft

Zum Beitrag

Hier kannst du dir den Beitrag anhören

Dieser Beitrag enthält Affiliate-Links, das heißt wir erhalten eine Provision, wenn du sie klickst und Produkte bestellst.


Irgendein Shampoo kaufen – das kann doch nicht so schwer sein. Eins für blondes, eher „strapaziertes“ Haar, mit einem vernünftigen Preis. Bleiben nur noch 20 von 100 Produkten. Am besten wäre etwas umweltverträgliches und tierversuchsfreies. Gibt es etwas ohne Palmöl? Ah hier: „Bio-Öko ohne Gedöns“. Da steht aber nichts von „blond“, ist aber vielleicht auch egal. Oh, 7 Euro?! Ach, vielleicht mache ich das ein andermal …

Kaum jemand steht so lange vorm Shampooregal wie ich. Ich verliere mich regelmäßig in der Liste mit Inhaltsstoffen, wäge ab, scanne eine Flasche nach der anderen und stelle sie wieder zurück. Ich vergleiche, gewichte, überlege und gehe oft unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Manchmal fällt mir eine Shampooreserve in einer Sporttasche ein und ich denke erleichtert: Entscheidung vertagt.

Natürlich ist vollkommen unwichtig, welches Shampoo ich kaufe. Aber ich optimiere trotzdem, schon aus Gewohnheit. Deshalb ist auch die Vorbereitung einer Reise für mich Schwerstarbeit. Ich überlasse nichts dem Zufall, sondern sichte stundenlang alle Übernachtungsoptionen. Ich will meine Hütte nicht nochmal mit Kakerlaken teilen und auf das fensterlose Zimmer unter der Rooftop-Bar falle ich auch nicht mehr rein.

Wenn mir Entscheidungen zu anstrengend sind, schiebe ich sie gern auf. An das Thema Altersvorsorge dachte ich beispielsweise erstmals mit Anfang 20. Als Berufseinsteigerin hatte ich Geld übrig und wollte es irgendwo einzahlen. Aber wo? In Aktienfonds, eine Rentenversicherung, einen Bausparvertrag? Meine Ratlosigkeit kommentierten alle mit: „Du bist jung. Du hast noch viel Zeit. Lass dir ruhig Zeit.“ Daraufhin war ich erleichtert: Entscheidung vertagt.

Knapp zehn Jahre später ist das Thema immer noch ungelöst. Es kostet mich fast körperliche Überwindung mich zu entscheiden – sowohl bei alltäglichen Nichtigkeiten als auch bei den großen Fragen des Lebens. Woher kommt diese chronische Entscheidungsschwäche?

Von Haus aus entscheidungsschwach?

Entscheidungsschwäche ist laut Psychologieprofessor Helmut Jungermann kein Persönlichkeitsmerkmal. Es gäbe lediglich einzelne Bereiche, in denen es Menschen schwerfällt sich zu entscheiden.1 Bei mir sind das jedenfalls viele Bereiche.

Wir Menschen entscheiden aber auch grundsätzlich ungern. Das zeigte der sogenannte Becher-Versuch des amerikanischen Ökonomen Jack Knetsch im Jahr 19892: Darin erhielten Probanden eine Kaffeetasse. Kurz darauf bot man ihnen an, diese Tasse gegen einen Schokoriegel einzutauschen. Nun war damals Zucker noch kein Thema wie heute. Die Teilnehmer waren weder Diabetiker noch hatten sie andere Gründe abzulehnen. Trotzdem entschieden sich 90 Prozent der Probanden gegen den Tausch und behielten ihren Becher. War der Becher so cool, dass auch wir ihn 30 Jahre später nicht gegen einen Snickers eingetauscht hätten? Nein, denn als man den Probanden erst den Schokoriegel gab und ihnen dann zum Austausch den Kaffeebecher anbot, lehnten ebenfalls 90 Prozent ab und behielten die Süßigkeit.

Das heißt, wir bleiben gern bei dem, was wir haben. Wir wollen nicht immer wieder neu entscheiden. Dieses Phänomen nennen Experten Entscheidungsparalyse. Alles soll bleiben, wie es ist – sei es aus Gewohnheit oder Bequemlichkeit.3 Deshalb haben wir auch so wenig Lust, am Status Quo zu rütteln. Wer will sich schon am Wochenende so richtig Zeit nehmen und den Stromanbieter wechseln? Oder auf Paleo-Ernährung umsteigen? Oder ans andere Ende der Stadt ziehen? Zur allgemeinen Trägheit kommt noch erschwerend hinzu, dass sich uns zu viele Möglichkeiten bieten.

Die Qual der Wahl

Das berühmteste Experiment hierzu hat die US-Psychologin Sheena Iyengar durchgeführt. Sie ließ Kunden in einem Supermarkt 24 Marmeladesorten probieren. Daraufhin kauften sie weniger als die Kunden, die nur sechs Sorten testen durften. Außerdem machte die größere Auswahl die Probanden unzufriedener.4 Das scheint paradox, schließlich würden wir – wenn wir gefragt werden – lieber eine große Auswahl haben.

Ich finde also kein Shampoo, weil es zu viele davon gibt. Jedes einzelne birgt das Risiko, ein Flop zu sein und meine ewige Reue zu ernten. Wissenschaftler sprechen auch von Opportunitätskosten. Das ist der Preis dessen, was wir aufgeben, wenn wir uns für eine Option entscheiden. Bestelle ich beispielsweise den Beilagensalat zum Burger, verpasse ich die Süßkartoffelpommes. Treffe ich mich mit Freunden, verzichte ich auf eine Netflix-Session auf der Couch. Eine Entscheidung für etwas ist daher immer eine Entscheidung gegen etwas. Eine Tür geht zu – und genau das ist das Problem.

Bloß nicht festlegen

Am liebsten wollen wir uns alles offenhalten, denn es fühlt sich gut an die Wahl zu haben. Zu gut, schreibt Dan Ariely5, denn seinen Erkenntnissen zufolge überschätzen wir den Wert von Optionen. In seinen Experimenten ließ er Probanden auf virtuelle Türen klicken, wofür sie Auszahlungsbeträge erhielten. Eine Tür enthielt den Höchstbetrag. Es galt also, diese Tür zu finden und möglichst oft auf sie zu klicken. Lange nicht angeklickte Türen verschwanden irgendwann – ein unangenehmes Gefühl für die Probanden. Deshalb klickten sie schließlich auch auf die weniger lukrativen Türen – nur, um sie offen zu halten.

Im richtigen Leben gehen wir ebenfalls Verluste ein, um uns Optionen offen zu halten. Zum Beispiel zögern wir die Flugbuchung so lange hinaus, bis wir 50 Euro mehr zahlen müssen. Oder wir schieben die Kündigung eines Abos so lange auf, bis sich der Vertrag verlängert und wir zwei weitere Jahre eine Zeitschrift zugeschickt bekommen, die wir ungelesen zu den anderen legen.

In Arielys Experiment klickten die Probanden außerdem zwischen den Türen umher. Das Optimum erreichten sie jedoch nur mit der Höchstbetragstür. Das Umherklicken war nutzlos, aber so rational sind Menschen nicht. Sie haben Angst etwas zu verpassen und springen deshalb zwischen den Optionen umher. So verhalten sich auch die meisten Anleger an der Börse. Sie kaufen und verkaufen, während die Transaktionskosten ihre Rendite dahinschmelzen lassen.6

Darf’s noch ein wenig Auswahl sein?

Dass Eltern ihre Kinder zu zig Aktivitäten fahren, sieht Dan Ariely als weiteres Beispiel fürs Optionen-offen-halten. Sie sollen ein Instrument, eine Fremdsprache und Reiten lernen sowie zur Mathe-AG gehen. Man weiß schließlich nie, was sie später gebrauchen können. Dabei wäre der Fokus auf ein oder zwei Hobbys für alle stressärmer und möglicherweise sinnvoller.

Aber wir beschaffen uns auch in anderen Zusammenhängen möglichst viele Optionen. Multifunktionsgeräte gibt es nur aufgrund dieser Vorliebe. Einige können kochen, garen, dämpfen, dünsten, backen, grillen und den Abwasch erledigen – stehen aber meistens doch nur rum. Aber es ist schön, die Möglichkeit zu haben!

So ähnlich verhält es sich bei mir mit den kostenlosen Veranstaltungsheften, die an Toiletten in Cafés und Bars ausliegen. Oft stecke ich sie in meine Tasche in dem Glauben, dass ich ja vielleicht mal auf einen Flohmarkt oder eine Freiluft-Party gehen will. Für diesen bisher nie eingetroffenen Fall weiß ich sofort, wo ich nachschlagen kann!

Optionen offen halten wollen wir auch, wenn wir jahrelang Postkarten an Freunde schreiben, mit denen wir längst keinen Kontakt mehr haben. Oder wenn wir alle paar Jahre den Partner wechseln. Dabei birgt es Vorteile, wenn Türen zugehen. Ariely zufolge kann beispielsweise eine Wochenendbeziehung reizvoll sein, weil man keinen Alltag teilt. Man gammelt nicht nebeneinander her und lässt Optionen verstreichen, sondern weiß die wenigen Gelegenheiten (zwei Tage pro Woche) zu schätzen. Aus diesem Grund ist auch die Zeit mit Kindern und Enkeln so wertvoll, denn sie ist endlich. Kinder werden älter und wollen sich irgendwann nicht mehr auf der Schaukel anschubsen oder die Nase putzen lassen.

Was schließe ich daraus für meine Shampooentscheidung? Dass es nichts bringt, auch noch im Internet zu gucken, was es dort so gibt. Das wird die Sache nur noch mehr verkomplizieren. Kommen wir zu den Strategien, die sich für ähnliche Luxusprobleme und wirklich wichtige Entscheidungen bei mir bewährt haben.

Ein paar Entscheidungshilfen

Experte werden und nach dem Gefühl gehen

Wer seine Gefühle nicht wahrnimmt, wird chronisch entscheidungsschwach, so die Psychoanalytikerin Maja Storch.7 Solche Menschen grübeln ununterbrochen und versteifen sich auf ihren Verstand. Dabei sind wir bei Entscheidungen gerade auf unsere Gefühle angewiesen, wie der Neurowissenschaftler António Damásio gezeigt hat: Er untersuchte Patienten mit Schädigungen am Gehirn, bei denen die Gefühlsvermittlung bei Entscheidungen nicht mehr funktionierte.8 Elliot, einer der Patienten, war nach einer Tumoroperation nicht nur gefühlsarm, sondern auch entscheidungsunfähig geworden. Sein IQ und seine Denkfähigkeit waren zwar unverändert, doch alles fühlte sich gleich an. Er konnte sich z. B. stundenlang nicht für einen Autoradiosender entscheiden. Lagen zwei Stifte vor ihm, griff er lieber keinen von beiden. 9

Für Entscheidungen brauchen wir demzufolge unsere Emotionen 10 und unser Bauchgefühl, wie Patrick bereits beschrieben hat.

Bauchentscheidungen sind weniger relevant, wenn man vorm Shampooregal steht. Sie zeigen ihr Können bei komplexen Themen wie z. B. der Arbeits- oder Studienplatzwahl. Hier gilt es, sich mittels Recherche zum Experten zu machen und anschließend nach dem Bauchgefühl zu gehen. So machte es auch ein junger Mann, der einer Anekdote zufolge bei Benjamin Franklin Rat suchte: Er konnte sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden. Auf Franklins Rat hin legte er eine Liste mit den Vorteilen der Angebeteten an. Als nach dieser Auflistung die Siegerin feststand, merkte er, dass er lieber die andere Frau wollte. Für sie entschied er sich dann auch. Bei diesem Luxusproblem, wie es sich manch einer wünschen würde, hatte der Verstand dem Gefühl auf die Sprünge geholfen. 11

Fundierte Bauchentscheidungen sind demzufolge kein esoterischer Hokuspokus, sondern reinen Kopfentscheidungen klar überlegen. Was aber tun, wenn es sich mit dem Bauchgefühl so verhält wie mit den Klassenkameraden von früher: Man hat ewig nichts voneinander gehört und weiß gar nicht, ob es sie noch gibt? Dann braucht es Übung, viel Übung. Oder man wirft eine Münze. Sobald Kopf oder Zahl entschieden haben, wird sich ein Gefühl im Bauch zu Wort melden und ggf. protestieren.

Seinen Werten treu bleiben

Der Begriff Werte klingt zwar staubig und weckt unangenehme Erinnerungen an den Ethikunterricht von früher. Trotzdem können Werte wie Ehrlichkeit und Authentizität Entscheidungen abkürzen, denn man trifft einmal eine Entscheidung und wendet diese immer wieder an. Beispielsweise wollten Patrick und ich von Anfang an nur Produkte bewerben, die wir selbst verwenden und nützlich finden. Trotzdem fragen uns viele Anbieter von Nahrungsergänzungsmitteln, Zuckerersatz o. ä., ob wir ihre Produkte bewerben wollen. Sicher hätten wir damit viel Geld verdienen können. Aber wie schön es ist, nicht einmal überlegen zu müssen, sondern schnell und beherzt abzusagen!

Zugegebenermaßen machen Werte Entscheidungen manchmal auch schwieriger. Beispielsweise haben manche Menschen den Anspruch, eine Arbeit zu verrichten, die einen Sinn hat. Oder die einen positiven Beitrag für die Umwelt leistet. Das macht die Jobsuche natürlich um ein Vielfaches schwerer, denn wir können (und wollen) nicht alle ehrenamtlich Brunnen bauen oder Wale zurück ins Meer schieben. Trotzdem macht diese Haltung die Auswahl leichter, denn viele Jobs entfallen als ernstzunehmende Alternative.

Ich würde mich beispielsweise nie als Finanzberater verdingen, selbst wenn ich dort viel Geld verdienen könnte. Doch ich will meine (geistige) Freiheit nicht gegen Geld tauschen. Das mag eine luxuriöse Ansicht sein, aber steht die nicht jedem offen?

Sich fragen, wie man leben will

Wie der Alltag aussieht – das zählt für mich bei vielen Entscheidungen. Beispielsweise denke ich immer mal wieder kurz an das Medizinstudium, das ich nie gemacht habe. Dahinter verstecken sich gleich mehrere geheime Wünsche: Erstens hätte ich gern eine eindeutige Antwort, wenn mich jemand nach meiner Arbeit fragt. Ich würde gern eine allgemein bekannte Berufsbezeichnung nennen, anstatt wie derzeit weit auszuholen, meine verschiedenen Standbeine, Eigenverlag und Affiliate Marketing erklären zu müssen. Zweitens würde ich gern einmal so angesehen werden wie mein Schwager in spe: Er ist Arzt, aber nicht irgendein Arzt, sondern Kinderarzt. Und nicht irgendein Kinderarzt. Er rettet Frühchen mit Herzfehlern!

Mir ist klar, dass ich insgeheim Szenen aus Grey’s Anatomy vor Augen habe. Dabei bestimmen Bürokratie, Drei-Schicht-System und Ausbeutung den Alltag. Will ich so leben? Nein, ehrlich gesagt nicht. Momentan gefällt mir mein Alltag ganz gut. Ich bin mein eigener Chef, verfüge über mein Wochenende und mache vier Wochen Urlaub am Stück, wenn mir danach ist. Das müsste ich aufgeben. Mein Mediziner-Traum passt nicht zu meinem aktuellen und präferierten Lebensstil.

Die Alltagsfrage beeinflusst viele weitere Entscheidungen. Will ich beispielsweise im Häuschen am Stadtrand wohnen und regelmäßig Unkraut zupfen? Momentan nicht. Will ich mich als Influencerin jeden Tag schminken, vor den Spiegel stellen und den Bauch einziehen? Negativ. Ich sage nicht, dass solche Präferenzen in Stein gemeißelt sind. Aber momentan nehmen sie mir einige Entscheidungen ab.

Keine schnellen Entscheidungen

Manche Blogger verkaufen Träume: den vom Glück, von den Idealmaßen oder dem ortsunabhängigen Arbeiten. Sie lassen manch einen denken: Ich schmeiße alles hin und werde Blogger! Doch bevor man die Dinge überstürzt, gilt es zu differenzieren: Ist es eine Shampooentscheidung oder geht es um die nächsten Jahre meines Lebens? Gefällt mir nur die Vorstellung oder will ich vor dem flüchten, was ich überall hin mitnehme – nämlich vor mir selbst?

Schnelle Entscheidungen sind nur bei banalen Fragen gut, z. B. wenn man den erstbesten Parkplatz oder irgendein Gericht von der Karte nimmt. Wenn es aber um ein Haustier, ein Fernstudium oder eine Selbständigkeit geht, spricht Schnelligkeit eher für Unüberlegtheit.

Hilfreich finde ich, mit Menschen zu reden, die eine bestimmte Entscheidung schon hinter sich haben. Wie ergeht es beispielsweise der Bekannten, die nebenberuflich BWL studiert oder eine Coaching-Ausbildung macht? Was sagen langjährige Ernährungsberater, Hundebesitzer oder Schriftsteller über ihren Alltag? Diese Recherche ist weniger sexy als eine Hauruck-Aktion. Aber wenn man sich schon dazu nicht motivieren kann, wird’s wahrscheinlich auch nichts mit dem Wochenendseminar oder den täglichen Gassirunden.

Nicht nichts tun

Zu viele Optionen, überstürzen soll man auch nichts – also lieber abwarten. Das ist immer die bequemste Option. Allerdings kann Nichtstun auch keine Lösung sein, denn: Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung. In einem philosophischen Gleichnis steht ein Esel vor zwei Heuhaufen und kann sich nicht entscheiden. Welcher schmeckt besser? Man ahnt es schon: der Paarhufer verhungert schließlich.12

Ein Beispiel fürs Nichtstun sind auch die vielen Karteileichen in Fitnessstudios. Die Mitglieder trainieren nicht mehr, sondern zahlen nur noch. Sie kündigen aber auch nicht. Die Entscheidung (und das Eingeständnis, dass sie kein Fitnessstudio-Typ sind) schieben sie vor sich her. Dabei haben sie sich in ihrem Inneren längst entschieden.

Seine Träume immer wieder aufzuschieben, ist ebenfalls eine Entscheidung. Manchmal fühlt es sich so an, als sei die Zeit oder man selbst noch nicht reif für etwas; man fühlt sich unqualifiziert und will sich erstmal belesen. Dieses Gefühl ist manchmal berechtigt, oft aber nur ein gängiger Widerstand, wie auch schon Scott Young beschrieben hat13: Wir lesen Blogs, kommen aber nicht ins Tun, weil sich die Lektüre schon wie Handeln anfühlt. Patrick schrieb darüber:14

[Viele angehende Selbständige] lesen Bücher, kaufen Online-Kurse, lassen sich beraten, besuchen Konferenzen und vernetzen sich mit den Teilnehmern ihrer Branche. Nur eines machen sie nicht: arbeiten. Jedes Buch und jede Veranstaltung fühlen sich so an, als würde man schon etwas tun. Dabei ist das alles nur Geplänkel. Die eigentliche Arbeit kommt danach und die wird oft aufgeschoben, bis man noch mehr weiß. Weiterbildung ist wichtig, aber irgendwann reicht’s auch. Wann dieser Punkt erreicht ist, kann dir niemand sagen. Doch wenn du glaubst, noch Kurs X belegen zu müssen, um endlich mit der Arbeit anzufangen, bist du auf dem Holzweg.

Nichtstun ist übrigens auch beim Thema Altersvorsoge fatal: Nur wer nichts tut, steht am Ende wirklich ohne etwas da. Also lieber für etwas entscheiden, das vielleicht keine optimale Rendite erwirtschaftet, aber am Ende mehr als Null abwirft.

Zu Risiken und Nebenwirkungen von Ratschlägen

Ratschläge von außen sind verlockend, denn man kann sich absichern und etwas Verantwortung abgeben. Außerdem gibt es immer Themen, bei denen man sich selbst nicht auskennt und jeder Rat ein Gewinn ist. Häufig sucht man allerdings nur Bestätigung für die eigene Meinung. Das ist daran erkennbar, dass man sein Anliegen schildert und auf die Antwort vom Gegenüber hin sofort zur Widerrede ansetzt. Man sagt: „Ja aber …“, ist irgendwie unzufrieden oder fühlt sich missverstanden. Diesen Verdacht habe ich auch bei Lesern, die unsere Bücher mit einer Ein-Sterne-Rezension auf Amazon beehren. Ihr Urteil „Nichts Neues dabei“ wirft die Frage auf: Warum lesen sie (noch) ein Buch, wenn sie alles schon wissen?

Worum es auch geht – meist ist man selbst der Experte für seine Situation. Trotzdem sieht man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht. Man fragt andere, was man tun soll, dabei sind die Dinge glasklar. Beispielsweise war ich vor einigen Jahren in meinem Job chronisch überlastet. Ich zögerte die Entscheidung noch monatelang hinaus, recherchierte, holte mir Rat und grübelte. Dabei war vollkommen klar, dass ich kündigen und einen anderen Weg einschlagen musste.

Außerdem habe ich in den letzten Jahren gelernt, dass die Meinungen von anderen nicht ganz ohne sind. Wenn ich jemanden nach seinem Senf frage, muss ich auch damit leben können – egal wie süß, scharf oder überlagert er auch ist. Will ich beispielsweise wissen, wie meine Freunde meinen Partner finden? Aus Neugier ja. Gleichzeitig aber auch nicht, falls das Urteil negativ ausfällt. Ich werde mich ja nicht trennen, wenn sie ihn nicht mögen. Vielmehr werde ich gerade an jemandem festhalten, dessen wahres Ich von den anderen nicht erkannt wird. So war es jedenfalls in der Vergangenheit.

Jede Meinung ist eben eine Einzelmeinung und jeder kann nur für sich sprechen. Außenstehende kennen selten den Kontext oder die Persönlichkeit genau, bevor sie eine Meinung äußern. Dafür kann man ihnen keinen Vorwurf machen. Vielmehr sollte man das bedenken, bevor man sich über das Gesagte den Kopf zerbricht. Beispielsweise habe ich in den Anfängen von Healthy Habits oft gehört: „Das könnt ihr doch nicht alles kostenlos veröffentlichen. Dafür muss man doch Geld nehmen!“ Auch bei meinen Packlisten hieß es von verschiedenen Seiten: „Du musst dir für den Download wenigstens die E-Mail-Adresse geben lassen.“

Heute bin ich froh, meinem Instinkt gefolgt zu sein. Mein Packlistenprojekt wächst, gerade weil alles kostenlos ist. Unsere Texte bei Healthy Habits locken Besucher an, die zu Käufern werden, und haben uns bereits bezahlte Schreibaufträge beschert. Gute Entscheidungen sind eben nicht immer intuitiv für andere.

Und was ist mit bezahltem Rat von Insidern? Dieser ist ebenfalls mit Vorsicht zu genießen (siehe Warum du lieber keinem Experten glauben solltest). Wenn dir z. B. jemand sagt, dass du dein Geld online verdienen solltest, könnte es daran liegen, dass er dir einen Kurs verkaufen will, in dem er dir genau das beibringt.


Perfektion ist unmöglich. Daher sind auch optimale Entscheidungen ein Mythos. Bei den großen Fragen im Leben gibt es laut Psychoanalytikerin Storch kein Richtig oder Falsch, sondern lediglich Entscheidungsprozesse, die klug getroffen wurden.15 Eine Pro-und-Contra-Liste ist eine Methode, Würfeln eine andere. Wie auch immer man vorgeht, man muss sich gut dabei fühlen. Die Zukunft vorhersehen kann schließlich niemand – außer der Krake Paul vielleicht. Genauso wenig können wir rückwirkend beurteilen, wie ein anderer Entscheidungspfad verlaufen wäre. Wäre es z. B. besser gewesen, wenn ich Medizin studiert hätte? Wer weiß das schon.

In Bezug auf das Thema Altersvorsorge habe ich mich jedenfalls über ein Jahr lang belesen und noch viel länger abgewartet. Gestern habe ich das wirklich letzte Buch zum Thema zugeklappt. Nun gibt es keine Ausrede mehr. Auch der Shampoofrage muss ich mich bald wieder stellen, denn selbst die Vorräte in Sporttaschen haben irgendwann ein Ende.

Ähnliche Artikel

Quellen

  1. Focus online: Ja, nein, vielleicht
  2. FH Kiel: „Besser nie besitzen, als verlieren“ Endowment‐Effekte
  3. Jochen Mai: Entscheidungen treffen: 12 überraschende Fakten
  4. Sheena Iyengar: The Art of Choosing
  5. Dan Ariely: Denken hilft zwar, nützt aber nichts
  6. Gerd Kommer: Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs
  7. Deutschlandfunk: „Es gibt keine richtigen Entscheidungen“
  8. Wikipedia: Entscheidung
  9. Zeit online: Die Kunst der Entscheidung
  10. Wikipedia: Entscheidung
  11. Zeit online: Die Kunst der Entscheidung
  12. Wikipedia: Buridans Esel
  13. Scott Young: Is Reading Blogs Like This One Keeping You From Improving Your Life?
  14. Patrick: Warum wir Dinge aufschieben, die uns am Herzen liegen
  15. Deutschlandfunk: „Es gibt keine richtigen Entscheidungen“

10 Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert