Genügsamkeit – eine Gewohnheit ohne Lobby

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Manche Themen haben schlichtweg keine Lobby, wie z. B. Genügsamkeit. Wie altbacken das schon klingt. Wenn Gewohnheiten wie Kinder zur Schule gingen, wäre Genügsamkeit wahrscheinlich ein Mobbing-Opfer. Sie würde auf dem Pausenhof im Abseits stehen und beim Schulsport zuletzt gewählt werden. Die coolen Gewohnheiten hingegen, wie Sport und gesunde Ernährung, wären die Stars in jeder AG – alle würden über sie reden und so sein wollen wie sie.

Genügsamkeit hat kaum UnterstützerInnen. Sie kann schon deshalb keine große Lobby hinter sich haben, weil unsere Wirtschaft überwiegend davon lebt, dass wir stetig konsumieren und mehr von allem wollen. Zudem ist Genügsamkeit abstrakt. Man kann diese Einstellung nicht so leicht in wenige Zeilen pressen oder in einzelne Schritte zerhacken und zu Geld machen, wie z. B. im Falle von Rezepten oder Anti-Zucker-Kursen.

Immerhin machen JournalistInnen Genügsamkeit ab und an zum Thema. Dann berichten sie meist über Extremfälle, denn die sind spannend und gut zu verkaufen. Man befragt beispielsweise Reisende ohne Budget, Menschen ohne Klamotten, Geld und Möbel oder Minimalismus-Blogger, die ihr Thema ins Extreme treiben. Der US-Amerikaner James Altucher verkaufte all seinen Besitz und wohnte zeitweise nur noch in AirBnB-Unterkünften. Solche Ansätze mögen inspirieren; mich schrecken sie jedoch ab, weil sie so wenig alltagstauglich sind.

Mir geht es nicht um Extreme, sondern um eine unaufgeregte Herangehensweise. Genügsamkeit muss sich nicht wie Verzicht anfühlen. Vielmehr meine ich eine Zufriedenheit mit dem, was man hat, denn das ist in meinen Augen genau so gesund wie Bewegung und frische Luft. Schließlich macht es frei, nicht ständig mehr zu wollen.Wenn ich dir von meiner Hardware erzähle, wird dieser Punkt deutlich.

Mein Hardware-Dreamteam

Meine Hardware sieht nicht danach aus, als würde ich ausschließlich am Computer und online arbeiten. Mein Laptop hält mir beispielsweise seit meiner Bachelorarbeit, also 2009, die Treue. Der Akku funktioniert schon lange nicht mehr, weshalb an dessen Stelle eine Lücke im Gehäuse klafft. Dank einer neuen SSD-Festplatte funktioniert das Gerät aber ansonsten gut. Nichts geht besonders schnell, aber daran habe ich mich gewöhnt. Dazu verwende ich eine Computer-Maus – selbstverständlich mit Kabel. Sie ist mindestens 20 Jahre alt. Zeitweise lungerte sie arbeitslos in der Schublade meines Elternhauses herum, bis ich sie vor einigen Jahren adoptierte.

Bis vor Kurzem komplettierte ein iPhone 4 mein Hardware-Dreamteam. Ich hatte es 2011 gebraucht von einem Freund abgekauft und mich bisher eisern daran geklammert, obwohl ich zuletzt kaum noch Apps installieren konnte. Selbst ältere App-Versionen verweigerten den Dienst auf dem iPhone. Willkürliche Abstürze wurden zur Regel, doch ich nahm sie in Kauf. Ich hatte immer wieder Berge von Elektroschrott vor Augen. Dort sollte mein iPhone nicht landen.

Schließlich war in meiner Familie ein iPhone 6 übrig. Es war älter als alle anderen kursierenden Geräte und wäre in einer Schublade gelandet. Ich ahnte, dass die Zeit gekommen war, und freute mich über das unerwartete Geschenk. Trotzdem schob ich etwas widerwillig meine SIM-Karte in das neue Smartphone. Ich wäre mit meinem alten bestimmt noch eine Weile ausgekommen. Das wartet nun seitdem im Schrank auf eventuelle Notfall-Einsätze.

Vielleicht bin ich heute schon so technikverdrossen wie andere Menschen erst im höheren Alter. Aber in anderen Bereichen habe ich genauso wenig Lust auf Shopping. Klamotten zu kaufen hat sich mittlerweile zu einem Reizthema entwickelt, das ich monatelang vor mir herschiebe. Ich habe keine Lust auf Schnäppchenjagen und -sammeln, auf den Konsumwahnsinn in der Innenstadt. Online-Shopping fällt mir wegen des Überangebots und meiner Entscheidungsträgheit nur bedingt leichter.

Also hege und pflege ich meine Sachen so lange wie möglich. Seit Jahren trage ich das gleiche Kleid auf Hochzeiten, bei denen ich zu Gast bin, und hoffe natürlich insgeheim, dass es niemandem auffällt. Besagtes Kleid habe ich nicht einmal selbst gekauft, sondern von meiner Mutter übernommen. Aber es funktioniert – genauso wie Teile meiner Sport- und Outdoorbekleidung, die ich seit 15 Jahren und länger verwende. Wahrscheinlich bin ich hoffnungslos altmodisch, jedoch widerstrebt mir der Gedanke, irgendwelchen Trends folgen zu müssen. Vielmehr bin ich stolz darauf, wie lange ich manches schon besitze. Seit meinem 18. Geburtstag trage ich den gleichen Rucksack durch die Gegend. Meine Wanderschuhe sind ungefähr gleich alt.

Größer, besser, teurer

Für mich ist es nicht erstrebenswert, ständig etwas Neues, Besseres oder Größeres zu haben. Ständig heißt dabei für mich: alle paar Jahre. Andere Menschen würden diese Zeitspanne kürzer sehen. Sie finden es normal, sich jedes Jahr neue Schuhe und alle zwei Jahre ein neues Handy zuzulegen.

Ich hingegen habe fast eine Konsumallergie entwickelt. Zudem weigere ich mich, bei der (geplanten) Obsoleszenz von Geräten mitzumachen. Das bedeutet, dass Geräte absichtlich so gebaut werden, dass sie nach einer gewissen Zeit kaputtgehen, überholt oder nicht mehr reparabel sind. Ich kann dieser Masche nicht ganz entkommen – schließlich brauche auch ich einen Drucker –, aber ich versuche mich so gut es geht zu entziehen.

Früher, als Technik noch etwas Besonderes war, hätte ich nie gedacht, dass mir meine Haltung mal genügsam vorkommen würde. Schließlich bin ich hochmodern ausgerüstet – im Vergleich zu Menschen in weniger privilegierten Teilen der Erde. Aber verglichen mit Freundinnen, Freunden, Bekanntinnen und Bekannten – stehe ich eher hinten an. Und das stört mich überhaupt nicht.

Ich bin so erzogen worden, dass man seinen Teller aufisst, anstatt die Hälfte übrig zu lassen und ein Dessert zu bestellen. Genügsamkeit bedeutet für mich auch, kein Auto zu besitzen, obwohl man es sich leisten könnte. Genügsamkeit heißt für mich, seine Wohnung zu behalten, obwohl man lange nicht umgezogen ist und sich zehn Quadratmeter mehr leisten könnte.

Nie hätte ich geahnt, dass ich es einmal unter Genügsamkeit verbuchen könnte, dass ich in absehbarer Zeit kein Haus bauen, kaufen oder mieten möchte. Im Gegensatz dazu scharren viele Gleichaltrigen mit den Hufen: die Zinsen sind niedrig; jeder baut; alle wollen an den Stadtrand, ins Grüne, ins eigene Heim. Ich komme mir fast exotisch vor, weil ich das nicht brauche. Zumindest in absehbarer Zeit reizt mich daran nichts.

Ich muss mich nicht immer weiter steigern. Im Gegenteil: Ich will genau das verhindern. Ich möchte eben nicht die typische Lifestyle-Inflation durchmachen, bei der die Lebenshaltungskosten ständig steigen. Jedoch – und das wird mir zunehmend bewusst – hat da draußen kaum jemand ein Interesse daran, dass ich nicht mehr von allem will.

Mein Mobilfunkanbieter möchte seit Jahren regelmäßig meinen 15-Euro-Tarif aufstocken – mit mehr SIM-Karten, mehr Datenvolumen, einer höheren Geschwindigkeit und – natürlich – mit einem neuen Smartphone! Sie ahnen nichts von meiner Hardware-Verdrossenheit.

Genauso wartet die Autoindustrie darauf, dass ich mir endlich einen Wagen zulege. Bauunternehmen haben derzeit zwar genug zu tun, würden aber sicherlich gern für mich ein Häuschen errichten. Die Versicherungsbranche möchte mir entsprechende Policen ans Bein binden. Ganz zu schweigen von all den Unternehmen, die sich darüber freuen würden, wenn ich Nachwuchs bekäme und dafür neue Möbel, Spielzeug und Co. anschaffte.

Ich bin auch ein schwerer Fall für die Werbebranche, denn viele Werbebotschaften und -versprechen gehen an mir vorbei. Durch ihre bloße Existenz wecken die meisten Weltneuheiten in mir keine Bedürfnisse. Ich brauche keine elektrische Zahnbürste, die mein Putzprofil mit der Cloud synchronisiert. Ich komme auch ganz gut ohne „Wearables“ – also Smartwatches usw. aus.

Bevor wir jedoch auf Konzerne schimpfen oder über technologische Notwendigkeiten debattieren, sollten wir zugeben: Genügsamkeit ist dem Menschen nicht gerade in die Wiege gelegt. Schließlich war es im Laufe der Evolution sinnvoll, seine Höhle immer sicher zu machen, Vorräte anzulegen und die Stammesmitglieder mit einem schicken Lendenschurz zu beeindrucken. Daher liegt es auch ein Stück weit in unserer Natur, immer mehr zu wollen. Diese Haltung hat uns dahin gebracht, wo wir heute stehen – nicht gerade ein rosiges Bild, wenn wir auf die Welt blicken, aber hey, wir leben noch.

Genügsamkeit bedeutet in meinen Augen, wider unsere Veranlagung zu denken und zu handeln. In den meisten Fällen sparen wir dadurch Geld und verschaffen uns Freiheit. Nur manchmal ist Genügsamkeit teurer, wenn nämlich die kleine Dose Kokosmilch relativ mehr kostet als die 1-Liter-Packung.

Aber in was für einer Welt würden wir leben, wenn Genügsamkeit ein Star wäre: Wenn Ausmisten so selbstverständlich wäre wie Staubsaugen und Wäsche waschen; wenn Menschen ohne Auto nicht belächelt, sondern bewundert würden; wenn es als normal angesehen wäre, nicht immer mehr zu wollen und sinnlose Schnäppchen links liegen zu lassen, und wenn Sich-nichts-Schenken zu Weihnachten die Norm wäre?

Bis es soweit ist, sollten sich genügsame Menschen nicht beirren oder ein schlechtes Gewissen machen lassen. Vielleicht kommt Genügsamkeit ja irgendwann in Mode – und wird doch noch zur Klassensprecherin gewählt.


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