Weiblich, Ü30, verbittert?

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Ab 30 werden Frauen verbittert“, sagte mal ein Mann zu mir, als wir uns kennenlernten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nicht einmal die 20er-Marke überschritten, was ihn sichtlich freute. Ich hatte keine Ahnung, was er mit der Feststellung meinte, wie das kommende Jahrzehnt verlaufen, geschweige denn, wie ich mich als Ü30-erin fühlen würde. Ich verbuchte die Sache schlichtweg als positives Feedback, lächelte und dachte nicht weiter über die ominöse Altersschwelle nach.

Seit ein paar Tagen hängen nun zwei Luftballons an meiner Deckenlampe: eine 3 und eine 0. Also fiel mir die Behauptung von damals wieder ein und ich fing an mich zu fragen: Werde ich jetzt auch verbittert oder bin ich es schon? Und wenn ja, woran könnte das liegen?

Genau genommen fehlt mir die Datenbasis für Ü30-Erfahrungsberichte, denn die meiste Zeit meines Lebens war ich unter 30 Jahre alt. Jedoch ahne ich schon, was damals gemeint war, denn die (vermeintlichen) Veränderungen an mir selbst und meinen Freundinnen sind mir schon in den letzten Jahren aufgefallen. Daher nehme ich es nicht ganz so genau mit der 30er-Marke, wenn ich mich der Verbittert-Frage stelle. Schließlich sagte man schon früher über mich, ich sei meinem Alter voraus …

Vielleicht sollte ich eine Begriffsklärung voranstellen, damit das Wort verbittert nicht permanent über uns schwebt und wir uns alle ein bisschen besser fühlen. So richtig verbittert ist wahrscheinlich kaum eine Ü30-erin. Ich jedenfalls nicht, denke ich. Aber etwas desillusioniert, nicht mehr so unbedarft und unbeschwert – das könnte es treffen. Möglicherweise war ich auch noch nie so unbeschwert wie andere. Ist das eine Typenfrage?

Kindern sagt man jedenfalls nach, dass sie noch furchtlos sind. Sie klettern auf Bäume, während die Erwachsenen danebenstehen und vor Angst tausend Tode sterben. Sie wissen, was alles passieren kann. Kinder denken darüber noch nicht nach. Bis zu dem Moment, an dem auch sie nicht mehr ohne zu zögern vom 3-Meter-Brett springen oder jeden Baum erklimmen. Wann fängt das eigentlich an?

In meinen Augen durchlaufen wir in unseren 20ern einen ähnlichen Prozess. Wir verlieren unsere jugendliche Unschuld; wir fallen das erste Mal auf die Nase; unser Vertrauen wird erschüttert; so manches, woran wir geglaubt haben, zerploppt wie eine Seifenblase. Wir werden das erste Mal so richtig fies verlassen; die Eltern trennen sich, wenn sie es nicht schon früher getan haben; wir merken, wie hart das Arbeitsleben ist und dass das angewandte Einhornlinguistikstudium vielleicht doch nicht die beste Entscheidung war.

Es gibt so viele Bereiche, in denen wir uns nicht vor einer gewissen Desillusion schützen können. Lass uns doch mal gemeinsam auf ein paar dieser Bereiche zurückblicken.

 

Essen & Trinken: Über Gedankenlosigkeit und Ernährungshipster-tum

Ein Kind sollte nicht ständig darüber nachdenken, was es isst, denn das tun wir als Erwachsene noch oft genug. Tatsächlich machte ich mir auch keinerlei Gedanken, als ich riesige Nudelberge bei Oma verschlang, bis ich mich nicht mehr bewegen und schon gar keinen Mittagsschlaf mehr machen konnte. Wir tranken Sprite und Spezi, aßen nach der Schule 5-Minuten-Terrinen ohne die leisesten Zweifel. Es waren die 90er, in denen sich alle über die 300 verschiedenen Geschmacksrichtungen von Maggi-Fix-Tüten freuten. Kartoffelpüree aus der Tüte? Warum nicht! Man löffelte Cornflakes und las währenddessen die Rätsel und Gewinnspielbedingungen auf der Verpackungsrückseite. Auch Milch war ein selbstverständlicher Bestandteil unserer Ernährung. Mit einer Freundin zelebrierte ich regelmäßig das „Fett-Kao“- Ritual, bei dem wir uns einen Fetten machten und dazu je ca. einen Liter Kakao tranken.

Irgendwann passierte es: Wie in einem Computerspiel wurde ein neues Level freigeschaltet. Es war plötzlich wichtig, sich gesund zu ernähren. Man wollte schlank sein. Der größte Umschwung in meiner Ernährung kam zunächst vor allem deshalb, weil ich regelmäßig in der Mensa aß und für mich selbst einkaufen musste. Ich wusste schon immer, dass Pommes nicht die beste Lösung waren. Das hatte es in der Familie nie gegeben. Ein Ernährungsfreak war ich aber bei Weitem noch nicht. Als Studentin aß ich immer noch viel Brot, wusste noch nicht, dass man seinen Salat würzen kann und dass ich so manche Gemüsesorte einfach nicht vertrage.

Nach dem ersten Semester hatte ich die erste handfeste psychosomatische Erkrankung: vor lauter Stress hatte sich mein Darm entzündet. Daraufhin wurde ich sensibler und lernte allmählich, was ich künftig nicht mehr essen sollte. Ich kaufte mir die „Fit for Fun“, beschäftigte mich zunehmend mit Lebensmitteln und las zum ersten Mal vom glykämischen Index, von Zucker und davon, dass Fruchtjoghurt nicht viel mit Früchten zu tun hat. Dann bescheinigte man mir eine Laktoseintoleranz und rüttelte damit zum ersten Mal an meinem Milch-ist-doch-gesund-Glauben. Das Buch „Tiere essen“ war vor sieben Jahren ein weiterer Einschnitt: Schon nach wenigen Seiten war mir klar, dass konventionelles Fleisch (und Fisch!) für mich gestorben sein würden.

Seitdem ist mein Bewusstsein weitergewachsen und es geht mir wie vielen anderen: Ich weiß kaum noch, was ich bedenkenlos essen kann. Nahezu alles hat einen ja-aber-Beigeschmack, wenn man halbwegs informiert ist: Fleisch, Fisch, Getreide, Zucker, Leitungswasser, Gen-Food. Natürlich sind das zum Teil Luxusprobleme, aber ich befasse mich nicht damit, weil es ein Trend ist oder ich damit Aufmerksamkeit erregen will. Ich will möglichst viel richtig machen – für die Umwelt und meinen Körper. Deshalb kaufe ich mittlerweile viele Bioprodukte, weil es sich etwas weniger falsch anfühlt, als zu konventionellen Produkten zu greifen. Aber mir ist auch klar, dass Bio nicht immer so biologisch ist und nur Selbstversorger mit einer eingeschränkten Lebensmittelpalette sauber durchkommen. Aber ich tue, was ich kann. In meiner Küche tummeln sich Vorräte an Buchweizen, Chiasamen, Quinoa, Sojageschnetzeltem, Bio-Kokosmilch und Haferdrink als Milchersatz. Ich rühre sogenannte Flohsamenschalen in meinen grünen Smoothie, weil die Ballaststoffe meinem Darm guttun. Ich kippe Leinöl aus der einzig wahren Leinölmühle in Brandenburg dazu, weil der Müller meinte, das sei gut gegen Krebs.

Einkaufen – wie unkompliziert war das früher! Heute kann ich mich manchmal ewig nicht entscheiden, weil ich so viele Kriterien abwäge. Ich weiß, wo die gluten- und laktosefreien Produkte stehen, und welche der 30 alkoholfreien Biersorten am besten schmecken. An der Kasse kommt bei mir Weltschmerz auf, wenn dicke Kinder und noch dickere Eltern vor mir ihren Einkauf aufs Band legen: Toastbrot, Gesichtswurst, Chips, Tütensuppen und Haribo-Aktionspackungen.

Früher freuten wir uns über Müsliriegel, die wir in kostenlosen Studententüten abstaubten. Heute reißt mich die „zuckerreduziert“-Aufschrift nicht mehr vom Hocker. Ich lasse das Betthupferl im Hotel links liegen und habe Bedenken angesichts der Süßigkeitenberge, die an Weihnachten und Ostern ausgetauscht werden. Natürlich esse ich noch Süßigkeiten, Eis und Kuchen, aber seltener und mit einem anderen Bewusstsein als früher.

Verbittert würde ich es nicht nennen, aber desillusioniert bin ich sicherlich in puncto Ernährung. Man könnte mich als Ernährungshipster bezeichnen, weil ich viel darüber nachdenke und dafür ausgebe, was ich esse. Manchmal wünsche ich mir die Unbedarftheit von früher zurück, jedoch lassen sich Erkenntnisse nicht rückgängig machen.

Umwelt & Politik: Über Ahnungslosigkeit und Nachrichtendiät

Als es noch kein Internet gab, waren Nachrichten eine überschaubare Sache, für die meistens die Eltern zuständig waren: Sie wussten Bescheid, während für uns Kinder eigentlich nur wichtig war, ob wir wegen „Wetten, dass …?“ am Samstagabend länger aufbleiben durften.

Selbst im Studium war ich noch relativ abgekoppelt vom Weltgeschehen. Ich hatte keinen Fernseher, schon gar keine Tageszeitung und an Radiohören kann ich mich auch kaum erinnern. Smartphones kamen erst auf, als ich meinen ersten Job hatte. Nachrichten-Apps kamen mir damals noch unglaublich nützlich vor. Heute sehe ich sie als Fluch und Segen, denn die überwiegend negativen Nachrichten aus aller Welt sind omnipräsent, egal ob man Eilmeldungen auf dem Home-Screen oder Schlagzeilen auf Displays an der S-Bahn-Haltestelle liest.

Mit Ende 20 oder Anfang 30 weiß man mittlerweile, was alles schiefläuft, und dass es für viele Missstände entweder keine Lösung gibt oder zu viele Akteure von den Missständen profitieren. Denken wir an Bauernverbände, die weiterhin Glyphosat verwenden wollen, oder Unternehmen, für die der Verkauf von Medikamenten lukrativer ist, als die Forschung nach einem Impfstoff.

Wir ahnen inzwischen, dass bald Menschen die Blüten unserer Pflanzen bestäuben werden müssen. Wir wissen, dass wir unseren Rohstoffhunger auf dem Rücken anderer austragen. Dass Handys nicht auf Bäumen wachsen, sondern Menschen anderswo seltene Erden schürfen, um mit ein paar Cent nach Hause zu gehen. Wir kennen mittlerweile die Dokus über Kinder auf Müllhalden, die aus Elektroschrott ein paar verkäufliche Metalle herausbrennen. Wir wissen, dass 2-Euro-T-shirts und 1-Euro-Hackfleisch nichts Gutes bedeuten können. Viele von uns sind schon mal in Südostasien gewesen und haben gesehen, wie es dort um den Regenwald bestellt ist und wie viel Plastik täglich an den Strand geschwemmt wird.

Die Welt ist komplexer geworden,

heißt es. Ich frage mich, ob das Leben tatsächlich schwieriger geworden ist als das meiner Großeltern, die morgens um 5 Uhr ihr Vieh versorgen und das Feld bestellen mussten. Haben wir ein Recht dazu, gestresster zu sein, nur weil ständig neue Hiobsbotschaften die Runde machen?

Das gestiegene Bewusstsein verhagelt mir und vielen anderen (insbesondere Hochsensiblen) die Leichtigkeit. Dabei gibt es keine einfache Lösung für alle diese Dinge.

Minimalismus und Nachrichtendiät sind zwei Ansätze, die es erträglicher machen. Viele von uns versuchen, Plastiktüten zu meiden. Wir sind stolz auf uns, weil wir den Müll gewissenhaft trennen. Aber eine gewisse Melancholie macht sich trotzdem breit, denn wir werden die größten Probleme nicht lösen können.

„Wahrscheinlich wird erst die Generation nach uns die Umwelt retten. Wir können den Prozess nur verlangsamen“,

sagte kürzlich jemand zu mir. Wenn das kein Grund ist, um desillusioniert zu sein! Aber was ist die Alternative? Die Augen verschließen und so tun, als ob alles schön wäre?

 

Job: Über Berufseinstieg und Dann-lieber-Selbständigkeit

Als ich BWL auf Englisch studierte, merkte ich, worauf man uns in erster Linie vorbereiten wollte: auf die Arbeit bei Banken, Wirtschaftsprüfern und Unternehmensberatungen. Wir waren mit Bulimiewissen vollgepumptes Frischfleisch – größtenteils motiviert, um unsere besten Jahre im Konzern abzuleisten. Allein die Erfahrungen einiger Kommilitonen, die bereits im Studium einige Hochglanz-Praktika absolvierten, ließen mich ahnen, dass ich einen anderen Weg gehen wollte. Ich hatte schon aus verschiedenen Quellen gehört, dass man als Unternehmensberater durchschnittlich zwei Jahre durchhalten und danach verbrannt sein würde.

Also suchte ich etwas anderes und landete zufällig bei einem kleinen Startup, das sich schnell wie eine Familie anfühlte. Eine junge Familie, denn die meisten von uns kamen frisch von der Uni und aus allen möglichen Studienrichtungen. Unsere Chefs waren nicht viel älter als wir Angestellten. Wir arbeiteten viel, identifizierten uns aber auch stark mit der Firma. Wir netzwerkten wie die Weltmeister und freuten uns über die Teamevents wie Grillen, Paddeln oder Surfen. Mit 23 verließ ich das Unternehmen, um meinen Master zu machen. Trotzdem habe ich mitverfolgt, wie das Unternehmen gereift ist. Das Team misst inzwischen ca. 50 Leute und besteht aus verschiedenen Hierarchieebenen. Das war zu meiner Zeit noch unvorstellbar.

Allerdings soll sich auch das Klima gewandelt haben. Es gibt nach wie vor hochmotivierte Neulinge, aber auch viele, die gleichgültiger sind als wir damals. Es ist eben ein Job. Man möchte Urlaubs- und Weihnachtsgeld haben und nimmt nicht mehr bereitwillig an jedem Teamevent teil, wenn es nicht als Arbeitszeit gilt. Und das ist nachvollziehbar, denn das Team ist nicht mehr durchgängig Anfang 20. Mancher hat Familie, ein Haus, ein Boot und ein Schaukelpferdchen (abzuzahlen).

Lebensplanung spielt jetzt eine Rolle: Prioritäten verschieben sich, Ansprüche steigen. Uniabsolventen lassen sich noch mit einem Obstkorb für alle ködern, aber irgendwann schließen auch sie ihre Hausratversicherung und den ersten Bausparvertrag ab. Das mit der Vertrauensarbeitszeit ist ohnehin so eine Sache, wenn man regelmäßig neun oder zehn (statt der abgemachten acht) Stunden im Büro verbringt. Somit rückt der Startup-Geist unweigerlich in den Hintergrund. Parallel dazu drängt sich früher oder später der Verdacht auf, dass die Chefs auch nur Menschen sind. Sie durchlaufen ihren eigenen Desillusionierungsprozess: Anfangs wollen sie noch ein cooler Arbeitgeber sein und es besser machen als ihre bisherigen Chefs. Bis sie merken, dass sich keiner mehr um zusätzliche Arbeit prügelt, dafür aber immer mehr Forderungen gestellt werden. Niemand sagt Danke dafür, dass der Lohn jeden Monat pünktlich auf dem Konto landet. Dazu kommt die ständige Suche nach gutem Personal, denn wir wechseln heute viel schneller den Job als noch unsere Eltern oder Großeltern.

Was man nach den ersten Berufsjahren ebenfalls gelernt hat, ist: Die Arbeit wird nie weniger – auch wenn die Deadline geschafft oder das nächste Projekt abgehakt sind. Es kräht auch kein Hahn danach, wenn man sich jahrelang verausgabt und irgendwann nicht mehr kann. Man ist ersetzbar. Immer stehen neue Leute in der Schlange, um sich (zumindest für eine Weile) verbrennen zu lassen – solange das Gehalt stimmt und sie einen hübschen Passus im Lebenslauf dafür bekommen. Das kann vielleicht nicht jeder nachvollziehen, aber ich bin jedenfalls schon an meine Grenzen gestoßen und würde heute nicht mehr alles für meinen Chef tun.

Dann doch lieber selbständig sein, dachte ich mir. Ich hatte damit schon immer geliebäugelt und 2014 war der Zeitpunkt gekommen. Aber auch in Bezug auf die Selbständigkeit bin ich nicht mehr so verträumt wie mancher Gründer, der bei „Die Höhle der Löwen“ für hochkant rausfliegt. Man kann sich zwar seine Zeit frei einteilen und hat niemanden über sich, aber der Druck ist hoch: Man muss seine Brötchen verdienen, sich versichern, seine Fixkosten decken und etwas fürs Alter zurücklegen. Nicht zuletzt will man sich selbst, der Familie und Freunden beweisen, dass man es draufhat. Der Druck ist anders als in einer Anstellung, aber er ist nicht zu verachten.

Als mich mal jemand fragte:

„Bei dem schönen Wetter fährst du doch bestimmt immer an den See, oder?“,

konnte ich deshalb nur seufzen. Ich nehme mir meine Freiheiten und schätze sie sehr, aber durchweg Halligalli bringt keine Punkte.

Ich denke oft daran, wie viele durchgegrübelte Nächte hinter (und noch vor) mir liegen, wie viele Fehler ich gemacht habe und wie viele Projekte schon kläglich gescheitert sind. Trotzdem würde ich die Zeit nicht eintauschen wollen. Dafür ist die Lebensqualität zu hoch. Für sich selbst Gas zu geben, fühlt sich besser an, als es für jemand anderes zu tun.

Wäre ich gern nochmal die Berufseinsteigerin von damals? Eher nicht, denn damals bin ich oft über meine Grenzen gegangen, weil ich hochmotiviert war und gut in dem, was ich tat. Mittlerweile achte ich besser auf meinen Energiehaushalt und versuche, meinen Selbstwert nicht zu sehr von meinem Erfolg abhängig zu machen. Das ist jedoch die wohl schwerste Übung, die mich noch in zehn Jahren fordern wird.

 

Beziehungen: Über gebrannte CDs und Federnlassen

Wie naiv ich früher war! Als ich zum Beispiel das erste Mal eine Telefonnummer von jemandem zugesteckt bekam, glaubte ich, die Welt liege mir zu Füßen. Der Kandidat war damals ca. 15 Jahre älter als ich, aber ich schrieb natürlich trotzdem eine Höflichkeits-SMS, um mich zu bedanken. Ich überlegte, ob er nicht auf mich warten könne, bis der Altersunterschied zwar immer noch groß, aber nicht mehr ordinär wäre.

Ein paar Jahre später verknallte ich mich bei einem Kneipenfestival (selbstverständlich) in den Gitarristen einer Band, der ein paar Meter vor mir auf der Bühne stand. Nach der fünfminütigen Unterhaltung in der Pause glaubte ich, die Sache wäre geritzt. Wir schrieben uns ein paar E-Mails hin und her, aber irgendwann riss der E-Mail-Kontakt ab, komisch!

Es gab aber auch erfolgreiche Bemühungen, d. h. romantische, überschwängliche – rückblickend teilweise niedliche – Beziehungen. Alles war aufregend und neu. Vielleicht erinnert sich manche Ü30-erin daran, wie wir in unseren ersten Beziehungen noch Collagen für den Partner bastelten, CDs brannten und Gedichte schrieben. Ich jedenfalls verpulverte meine kreative Energie, von der ich heute gern noch mehr übrighätte. Mit dem Älterwerden wurden meine Geschenke vorhersehbarer, gewöhnlicher und materieller.

Einige Negativerfahrungen sind besonders hängen geblieben. Die Beziehungen hielten nicht immer, was ich mir erhofft hatte. Das lässt sich kaum vermeiden: Man wird das erste Mal betrogen oder verlassen – von einem Tag auf den anderen, am Telefon. Jedes Mal lässt man Federn, egal ob man der/die Verlassene ist oder selbst geht.

„Du suchst dir aber auch immer den schillerndsten Fisch raus und wunderst dich dann, dass er nicht schmeckt“,

kommentierte ein guter Freund das damalige Muster in meiner Partnerwahl. Ich versuchte daraus zu lernen und wurde unweigerlich skeptischer gegenüber dem, was mir Männer ins Ohr säuselten. Vor allem, wenn sie vergeben waren.

Mittlerweile bin ich besser darin geworden, ich selbst zu bleiben und mich nicht mehr bis zur Unkenntlichkeit anzupassen. Verschmelzung ist verlockend, aber man braucht ein Gegenüber und kein Spiegelbild in einer Beziehung.

Andere Frauen haben ganz andere Probleme: Vor lauter Arbeitsalltag funktioniert die Partnersuche nicht mehr so fluffig wie früher und beschränkt sich entweder auf den Kollegenkreis oder man muss in den sauren Online-Dating-Apfel beißen.

Dann wäre da noch die tickende Uhr. Ein paar von uns haben den Joker gezogen, denn alle drei Kriterien stimmen: Sie haben einen Kinderwunsch, die körperlichen Voraussetzungen und einen Partner an ihrer Seite, um Eltern zu werden. Sie sind es, die am Samstagmorgen ihre Kinderwagenanhänger joggend durch den Park rollern. Alle anderen haben es schwerer, wenn nämlich eine der drei Voraussetzungen nicht passt. Der Partner fehlt oder es klappt nicht oder man wird in Abwesenheit eines Kinderwunschs ständig auf seine Pläne angesprochen.

Das ist nur ein kurzer Einblick in die vielen Gründe, weshalb manche Frauen über 30 weniger unbeschwert durchs Leben gehen könnten. Ob sich Männer auch darin wiedererkennen?

 


So gesehen war die Frauen-über-30-Aussage von damals eine Vorausschau auf die Rückschau heute. Als verbittert würde ich mich nicht ansehen, aber die jugendliche Leichtigkeit, Verrücktheit und Naivität sind sicherlich verflogen. Das liegt u. a. an den Erfahrungen, die damals noch vor und heute hinter mir liegen.

Abgesehen davon läuft nun mal vieles schief in der Welt. Und wir sind endlich alt genug, um es zu begreifen. Ich kann zwar die Nachrichten meiden, doch ich weiß auch, dass weder ich noch andere unsichtbar werden, nur weil ich mir die Augen zuhalte.

Manchmal würde ich gern meinen Kopf zurücksetzen und mir die Unbeschwertheit von damals zurückwünschen. Ich kann aber auch alles in einem positiveren Licht betrachten. So sprechen viele Erkenntnisse dafür, dass man informiert ist, Verantwortung übernimmt und nicht mehr jeden Mist mitmacht. Das ist eine gute Sache. Negativerlebnisse zeugen davon, dass man sich gezeigt und riskiert hat. Was wäre die Alternative? Niemanden an sich heranlassen und den Kopf in den Sand stecken?

Vielleicht ist es auch gerade der Witz am Älterwerden, dass wir diesen Desillusionierungsprozess durchlaufen. Wir sind es, die mithelfen müssen, damit die Erde nicht noch schneller untergeht. Wir müssen vorhersehen, ob sich Kleinkinder vom Klettergerüst stürzen und das Genick brechen könnten. Wir müssen einschätzen, wie viele Überstunden unser Körper mitmacht. Wir müssen lernen, toxische Beziehungen zu erkennen und nicht ausgenutzt zu werden.

Es hat also alles einen Sinn und jede Erfahrung ist für etwas gut. So könnte das positive Fazit lauten, das Ratgeberblogs für gewöhnlich ans Ende stellen, um dem Leser ein gutes Gefühl zu geben. Ich meine es aber tatsächlich so. Passend dazu sagte kürzlich mal jemand (in etwa) zu mir:

„Lebenserfahrung ist viel attraktiver als so manche Äußerlichkeit.“

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