Warum Hochsensible (besonders) gut für sich sorgen sollten

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Vor meinem letzten Artikel über Hochsensibilität machte ich mir einige Gedanken – was auch sonst als hochsensible Person? Ich zweifelte, ob wir die Leserschaft für dieses Thema haben würden und nicht bereits alles über Hochsensibilität geschrieben worden sei. Trotz aller Zweifel und motiviert durch zwei Korrekturleser klickte ich letztendlich doch auf „Veröffentlichen“.

Ein paar Wochen später zählte der Artikel zu unseren meistgelesenen Texten. Er wurde mittlerweile über 17.000 Mal aufgerufen.

Einige Leser wünschten sich weitere Artikel zur Hochsensibilität. Ihre Kommentare zeugen davon, dass es immer noch Neuentdecker gibt. Hätten sich sonst über 12.000 Menschen zu einem Online-Hochsensibilitätskongress im Februar 2016 angemeldet?

Ich möchte deshalb an meinen ersten Artikel anknüpfen und mich heute der Frage widmen, warum Hochsensible besonders gut für sich sorgen sollten. Ich beschreibe die Dinge aus meiner persönlichen Sicht als HSP (highly sensititve person), wobei ich der Vielfalt der Facetten von HSPs sicher nicht gerecht werden kann.

Selbstverständlich sollte jeder Mensch – ob hochsensibel oder nicht – gut für sich sorgen. Doch aus verschiedenen Gründen sind Hochsensible anfälliger für die Herausforderungen des Alltags. Das liegt an einigen typischen Fähigkeiten bzw. Eigenschaften, die sowohl eine Gabe als auch eine Herausforderung sind.

Wenn HSPs nicht auf sich aufpassen, können sie ein Leben in ständiger Überlastung führen. Immer wieder stoßen sie an ihre Grenzen; merken, dass etwas nicht stimmt; dass sie sich nicht wohlfühlen – bis der Leidensdruck groß und der Rückzug unvermeidlich werden. Nach einer Weile der Regeneration geht es ihnen vielleicht wieder besser. Dann kommen die Zweifel, ob der Stress vielleicht nur eingebildet war. Ob es nur eine Phase war. Das Gedächtnis leistet ganze Arbeit und löscht die negativen Gefühle. Erst bei der nächsten Stressphase erinnert sich der Körper daran, dass das beim letzten Mal schon so anstrengend war.

Hochsensible sollten besonders gut für sich sorgen, weil …

1. Sie nehmen mehr Reize auf als andere

Die Filter in der Wahrnehmung sind bei Hochsensiblen durchlässiger als bei Nicht-Hochsensiblen. Dadurch registrieren HSPs viele Details, die anderen entgehen. Es ist eine Gabe, andererseits aber auch eine Herausforderung in Zeiten von Reizüberflutung & Co.

Die Schwelle zur Reizüberflutung ist bei HSPs niedriger als bei Nicht-HSPs. Stresssymptome sind die Folge und machen sich durch Kopfschmerzen, schlechte Laune, Schlafstörungen, den Drang sich zurückzuziehen usw. bemerkbar. (Die Anzeichen für Hochsensibilität habe ich hier beschrieben.)

Ich habe mich länger gefragt, warum ich Stress nicht sonderlich gut wegstecke, Shopping-Touren, Menschenmassen und anderen Trubel mittlerweile meide. Seit ich weiß, dass Hochsensibilität die Antwort ist, sehe ich die Dinge klarer: Zu viel Input strengt mich an, denn mein Knetemischer hat andere Mengen zu verarbeiten, als bei anderen (ohne Wertung!).

Eine Maßnahme zur Input-Begrenzung ist, dass ich Nachrichten nur noch in geringen Dosen und ausschließlich aus (in meinen Augen) glaubwürdigen Kanälen konsumiere (nicht Spiegel Online & Co.).

Außerdem ist es in meinen Augen die halbe Miete, wenn HSPs wissen, wie sie ihren Kopf zurücksetzen können. Damit meine ich das Runterfahren des Gehirns, das Auf-null-setzen, das Löschen von Einstellungen und temporären Dateien, das Aufräumen der Gedanken. Manche HSPs gehen spazieren, andere meditieren – ich powere mich beim Sport aus. Nichts wirkt so zuverlässig wie eine Stunde Bootcamp.

2. Sie brauchen viel Schlaf und Erholung

HSPs haben einen höheren Spiegel des Stresshormons Cortisol im Blut. Im Gegensatz zu Nicht-HSPs kommen sie daher nach stressigen Phasen nicht so schnell wieder runter. Das liegt an der Vielzahl an Reizen, die sie verarbeiten müssen. Die meisten Hochsensiblen brauchen deshalb mehr Schlaf und Erholung und sollten sich ihre Kräfte sorgsam einteilen.

Um gut für mich zu sorgen, schaffe ich mir regelmäßige Auszeiten. Das sind ruhige Abende und Wochenenden ohne Termine. Natürlich gehören auch Urlaube zu den Auszeiten, aber ein paar Wochen im Jahr könnten einen Alltag ohne Pausen nicht kompensieren.

Mein Default-Modus sieht zudem mindestens acht Stunden Schlaf vor, um meinen Akku zu laden. Das klappt nicht immer, aber ich versuche es zumindest. Früher habe ich dagegen angekämpft und versucht mich an weniger Schlaf zu gewöhnen – ohne Erfolg.

Das bedeutet auch auf andere Sachen zu verzichten, wie z. B. nachts um die Häuser zu ziehen oder 23 Uhr spontan einen Film anzufangen. Manchmal würde ich mir wünschen alles unter einen Hut zu bekommen: alles zu machen, überall dabei zu sein und trotzdem einen vollen Akku zu haben. Doch das ist eine Form des Anhaftens, des sich-selbst-zu-wichtig-Nehmens, wie ich in der Anleitung zu mehr Gelassenheit beschrieben habe.

3. Sie sind sehr empathisch

Hochsensible sind in der Regel sehr empathisch. Sie spüren im zwischenmenschlichen Bereich mehr als Nicht-Hochsensible, fühlen sich in Menschen ein, tauchen quasi ein. Das ist abermals eine Gabe, die auch Schwierigkeiten mit sich bringt. Sich ständig bewusst oder unbewusst in andere Menschen einzufühlen ist auf Dauer anstrengend. Abgrenzung ist für viele HSPs deswegen die Herausforderung ihres Lebens – auch für mich ist es die größte Baustelle. Wenn jemand Probleme hat, grüble ich nachts (mit) nach einer Lösung. Ein Streitgespräch kann mich tage-, wenn nicht wochenlang aus der Bahn werfen.

Es ist nicht so, dass ich eine Wahl hätte, ob ich mich einfühle oder nicht, denn die Gedanken kommen automatisch. Neulich habe ich mich dabei beobachtet, wie ich mit der Rezeptionistin in einem Hotel mitfühlte. Sie musste gleichzeitig redseligen Gästen zuhören, für Passanten den Stadtführer spielen und nebenbei ihre eigentliche Arbeit erledigen. Sie sah ziemlich müde aus. „Wie viel sie wohl verdient? Und wen sie damit ernähren muss?“, überlegte ich.

Ich stieß letztes Jahr auf das Thema Hochsensibilität, weil ich nach „Sorgenschwamm“ und „Weltschmerz“ suchte. Ich wollte wissen, ob nur ich mit anderen Menschen und Tieren (immerhin selten Pflanzen!) unfreiwillig mitleide. Aber nein, Weltschmerz gilt als eines der Anzeichen für Hochsensibilität. Und ja, Weltschmerz ist ein großes Thema für mich. Ich erwähnte bereits über den Asphalt gezerrte, überfütterte Hunde nebst Teenie-Handy-Müttern, die sich lautstark mit ihren Teenie-Handy-Vätern streiten.

Allein zu sehen, welchen Mist manche Menschen auf das Kassenband im Supermarkt legen, reicht schon, damit es mir schlecht geht. Sehr gut spiegelt das Aileens Artikel „Ich mag nicht mehr“ wider.

Als Gegenmittel gegen Weltschmerz und zu viel Empathie hilft es mir manchmal meine Gedanken auszusprechen. Dann teile ich sie mit meinem Freund oder Patrick. Ab und zu wird mir dabei bewusst, wie absurd ein Teil meiner Überlegungen ist. Der Rest nutzt sich beim Erzählen ab und verliert damit seine Wucht. Auch das Schreiben ist ein guter Kanal.

Nicht zuletzt gibt es HSP-Gruppentreffen (siehe hochsensibel.org). Sich mit anderen auszutauschen hilft dabei, sich nicht allein zu fühlen und (vielleicht ein bisschen) weniger an sich und seinem Verstand zu zweifeln.

4. Sie analysieren, durchdenken und zweifeln viel

Viele Reize bedeuten viel zu analysieren. HSPs können meist sehr gut Dinge durchleuchten, verschieden interpretieren und dabei zig verschiedene Sichtweisen einnehmen. Auch Nachdenken über das Denken, sogenanntes Metadenken, kennen HSPs gut. Genial, aber auch anstrengend.

Die HSP-typische Selbstreflexion ist ebenfalls eine Gabe mit Nebenwirkungen: Selbstkritik und Selbstzweifel fördern nicht gerade das Selbstbewusstsein – und den Schlaf.

Gerade abends denken viele HSPs unfreiwillig nochmal gründlich über alles nach. Wenn der Knetemischer wie bei mir abends so richtig ins Rollen kommt, lässt der Schlaf auf sich warten. Bei außergewöhnlichen Vorkommnissen kann er sich auf wenige Stunden beschränken.

Ständiges Analysieren kann zu einer inneren Unruhe führen, die Hochsensible aufgrund ihrer niedrigeren Reizschwelle erst recht als unangenehm empfinden.

Neben den bereits genannten Tipps wende ich manchmal eine stop-loss-Strategie an. Die habe ich dem Buch „Sorge dich nicht – lebe!“ entnommen: Beim Aktienhandel sei es empfehlenswert, seine Verluste zu begrenzen, indem man beim Kauf einer Aktie einen Minimalpreis festlegt. Sinkt der Wert der Aktie darunter, verkauft man. Dann hat man zwar Verlust gemacht, aber dieser ist begrenzt. Dieses Prinzip könne man auch auf Sorgen anwenden und einen Punkt festlegen, an dem es schlichtweg genug ist.

Vor einer Weile machte ich mir tagelang Sorgen – bis ich von der stop-loss-Strategie las. Die Zeit- und Schlafverluste waren tatsächlich genug! Ich freundete mich mit dem Gedanken an: „Du hast jetzt genug Abende und Nächte, Gehirnschmalz und Energie investiert. Es reicht.“ Es funktionierte.

Wahrscheinlich klappt es nicht immer, aber ich nehme es gern in mein Repertoire an Gelassenheitstechniken mit auf.
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5. Sie sind oft Perfektionisten

HSPs sind meistens gründlich und haben ein Talent fürs Aufspüren von Fehlern. Diese Fähigkeiten sind gleichzeitig eine ideale Basis für kräftezehrenden Perfektionismus.

Auch ich feile manchmal stundenlang an etwas, bis ich bis ins Letzte zufrieden bin. In der Schule und im Studium brachte mir das gute Leistungen ein, doch wie sagte mal jemand? „Perfektionismus ist schön und gut, aber wenn Sie mal nicht mehr so können, wie Sie wollen, haben Sie ein Problem. Es ist gefährlich seinen Selbstwert aus Perfektion zu ziehen.“

Es gibt viele gute Artikel über den Umgang mit Perfektionismus. Einige Grundsätze aus diesem mymonk-Artikel hängen über meinem Schreibtisch (ein Geschenk von Patrick). Zwei Gedanken daraus erscheinen mir besonders hilfreich:

  1. Es geht nicht um Leben und Tod.
  2. Alles ist besser als nichts.

Ich werde meine perfektionistische Ader sicherlich nicht ganz los. Es hilft mir allerdings zu wissen, dass sie Kraft kostet. Wenn ich merke, wie sie für Grenzoptimierung meine Kräfte anzapft, versuche ich möglichst schnell ein Ende zu finden. (Wie vielen Menschen ist es schon wichtig, ob ich unter der Couch gesaugt habe?)

6. Sie sind verstärkt auf Sinnsuche

Hochsensible haben oft hohe moralische Ansprüche und das Bestreben etwas Sinnvolles mit ihrer Arbeit zu tun. Ich kenne das von mir. Als ich jeden Tag Adwords-Anzeigen in einer Agentur schaltete, fragte ich mich auch am Ende des Tages, ob ich mit meinen Fähigkeiten anderswo mehr bewegen könnte. Bis heute bleiben die Zweifel. Allerdings fühlt sich meine Arbeit heute meistens sinnvoll an. Das bezeugen die Kommentare und Emails, die wir bekommen.

Trotzdem erinnere ich mich gut an das Gefühl der absoluten Sinnlosigkeit. Es gab Zeiten, da schien es mir egal, ob ich aufstehen und meine Arbeit tun – oder es lassen würde. Auf Dauer kann dieser Zustand depressiv machen – zumal Hochsensible ohnehin anfälliger sind für psychische Erkrankungen.

In meinen Augen gibt es drei Wege für Sinnsuchende:

  1. Den Job wechseln oder
  2. einen Sinn in die Arbeit hineindeuten oder
  3. sich auf anderen Gebieten engagieren.

Hochsensible suchen sich häufig Berufe, die schon auf den ersten Blick erstrebenswert erscheinen. Sie arbeiten beispielsweise als Fremdsprachenlehrer, Arzt oder Therapeut. Es gibt aber auch Hochsensible, die Verkäufer sind. Es geht auch nicht anders, denn wenn wir ehrlich sind: Wir können nicht alle Wale zurück ins Meer schubsen. Manche von uns stecken in einem Job fest, der sich zwar nicht sinnvoll anfühlt, den sie aber trotzdem nicht aufgeben können bzw. wollen.

Dann ist eine Möglichkeit, die Arbeit umzudeuten. Jeder Job ist schließlich auf eine Art und Weise sinnvoll, sonst würde niemand dafür bezahlen. Wir müssen bei sinnvollen Tätigkeiten nicht gleich ans Weltretten denken. Auch ein Kantinenmitarbeiter leistet eine sinnvolle Arbeit, indem er Menschen das Essen zubereitet. Ein Müllmann sorgt für saubere Straßen. Ein Buchhalter nimmt anderen den Zahlenkram ab.

Die dritte Möglichkeit beobachte ich bei einigen Freundinnen, die irgendwann sagen: „Dann konzentriere ich mich jetzt eben auf mein Hobby / unser Haus / unsere Hochzeit / das Schwangerwerden / meine Kinder.“ Oder sie suchen sich eine ehrenamtliche Tätigkeit.

Was auch immer du unter Sinn verstehst oder was dir fehlt – vielleicht solltest du es auf anderen Gebieten suchen, wenn du es in deinem Job nicht findest.

In Patricks Augen sind Sinnsuchende ohnehin auf dem Holzweg, da nicht der Sinn fehlt, sondern die Anerkennung. Ich empfehle daher auch Hochsensiblen seinen Artikel hier im Blog: Warum du aufhören kannst nach dem Sinn zu suchen.


Hab die Geduld und den Mut, nach deinen Bedürfnissen zu leben! Deine hochsensible Seele wird es dir danken.

Weitere Artikel über Hochsensibilität hier im Blog:

Inspiriert durch die Bücher:

  1. Zart besaitet” von Georg Parlow (etwas anspruchsvoll zu lesen, ein Standardwerk)
  2. Hochsensibel – Was tun?” von Sylvia Harke (angenehm zu lesen, viele Übungen)
  3. “Sorge dich nicht – lebe!” von Dale Carnegie (ein Klassiker, sehr angenehm zu lesen)


Foto: Mann von hinten von Shutterstock

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