Wie ein Elefant: Wie ich meditieren lernte

Zum Beitrag

Hier kannst du den Beitrag anhören

Die wenigsten Menschen sind zwölf Jahre alt, wenn sie das erste Mal Entspannungsübungen machen. Ich ging damals zur Atemtherapie und sollte das Verhalten bei einem Asthmaanfall lernen. Das war schnell abgehakt. Was ich sonst noch gern lernen wolle, fragte die Therapeutin. Aufgrund meiner Schlafprobleme kamen wir auf Entspannungstechniken. Sie zeigte mir, wie ich alle Körperteile nacheinander an- und wieder entspannen konnte, und es funktionierte. In Eigenregie zu Hause konnte ich mich zur progressiven Muskelentspannung1 allerdings nicht überwinden. Ich schlief weiterhin schlecht ein.

Als mir Entspannungsübungen das nächste Mal über den Weg liefen, war ich knapp 20. Ich hatte Podcasts entdeckt, insbesondere Anleitungen zum Bodyscan2. Diese probierte ich eine Zeit lang aus und verlor sie wieder aus den Augen – bis mein Leidensdruck größer wurde und ich fünf Jahre später wieder mein Glück versuchte. Mein Weltschmerz hatte mich auf das Thema Hochsensibilität gebracht und ich ging nun regelmäßig zu einem Gruppentreffen, das immer mit einer Meditation begann. Dabei kam ich zur Ruhe. Es fühlte sich gut an. Also nahm ich mir vor, auch alleine zu Hause zu meditieren. Mit erstaunlicher Konstanz schaffte ich das nicht. Immer waren andere Dinge wichtiger.

Als ich irgendwann mehr über Gewohnheiten wusste, versuchte ich es mit einer Prise mehr Verbindlichkeit. Mit einer Freundin verabredete ich mich zu einem Experiment: Wir wollten täglich eine Minute meditieren und uns nach getaner Arbeit eine Nachricht schicken. Das sollte den nötigen Druck erzeugen. Zunächst waren wir euphorisch, doch nach zwei Wochen hatten wir bereits aufgehört. Es kam uns sinnlos vor. Deshalb schrieb ich etwas später in meinem Buch „Gestatten: Hochsensibel“:

Vielleicht bin ich für diese Gewohnheit zu sehr Kopfmensch, denn schon bevor ich mich hinlege, bezweifele ich den Nutzen von einer Minute. Für mehr Zeit fehlt mir allerdings erst recht die Lust.

Irgendwie sollte es nicht sein. Ich las zwar immer wieder in Büchern, wie gut Meditation tue und wie man es anstellen solle, aber bei mir schien das nicht zu funktionieren. Mein Kopfkino war zu aktiv, mein Alltag zu voll, mein innerer Schweinehund zu mächtig. Ich ahnte, woran es haperte, und überlegte weiter:

Noch habe ich das Thema aber nicht abgeschrieben. Es gibt schließlich noch mehr Wege, um die Gewohnheit zu etablieren. Vielleicht sollte ich mich zu einem Kurs anmelden, anstatt autodidaktisch mein Glück zu versuchen.

Meditieren (lernen) aus Gruppenzwang

Mit ungefähr 28 Jahren ging ich zu einer dreimonatigen Intensivgruppe zum Thema Abgrenzung. Auch bei diesen Treffen meditierten wir. Meditation war außerdem unsere tägliche Hausaufgabe. Dafür hatten wir eine CD mit Audio-Anleitungen bekommen. Das kam mir zunächst oldschool vor. Doch es sollte mein Durchbruch sein. Auch, weil wir jede Woche Bericht erstatten sollten. Nicht zu meditieren wäre aufgefallen.

Nach Ende des Kurses wurde es schwierig, denn ich wollte den Faden nicht abreißen lassen. Ich durchforstete Apps, Podcasts und YouTube nach ähnlich guten Anleitungen. Ohne eine Stimme im Ohr würde ich zu sehr abschweifen, dadurch die Lust verlieren und wieder aufgeben. Ich blieb schließlich bei einer App namens Headspace3 hängen. Mir gefiel die Stimme des Sprechers, die vielfältigen Kurse sowie die neckischen Animationen zu den verschiedensten Themen. Außerdem zählt die App mit, wie viele Tage in Folge man meditiert hat. Und wenn man erstmal 10 Tage hat, nimmt man die Sache schon ernster.

Nach dem Probemonat zögerte ich trotzdem: knapp 60 Euro pro Jahr? Würde ich die App nach der Anfangseuphorie überhaupt noch benutzen? Während ich mit mir rang, verging die Zeit. Ich durchstöberte wieder Podcasts mit Werbung und weniger angenehmen Sprecher*innen. Ich musste vorspulen, zurückspulen, Folgen suchen, filtern, merken, speichern.

Dann kam Weihnachten und ich ließ mir ein Headspace-Abo schenken. Damit war es besiegelt: Ich nutzte die App von nun an jeden Tag. Einzig während des Sommerurlaubs an der Ostsee musste ich abreißen lassen, denn ich hatte kein vernünftiges Internet. Man kann sich die Folgen zwar auch runterladen, doch ich war nicht darauf vorbereitet und ließ es in dieser Zeit schleifen. Mich demotivierte auch, dass sich die Zahl der durchgehaltenen Tage nicht mehr aktualisierte. Nach ein paar Wochen fing ich mich allerdings wieder.

Abgesehen von dieser Unterbrechung sind es inzwischen 20 Monate, in denen ich täglich meditiere. Profis mag das immer noch kurz erscheinen, aber angesichts des jahrelangen Scheiterns bin ich damit zufrieden.

Was mir Meditation bringt

Meditation kann keine Wunder vollbringen und auch keinen unbequemen Charakter umstülpen. Daher wird aus mir, einem eher zurückhaltenden Kopfmenschen, auch kein tiefenentspannter Lach-und-Lebe-Mensch werden. Doch ich bin gelassener geworden und kann das Gedankenkarussell schneller stoppen, wenn es sich verselbständigt.

Ich schaffe es zudem öfter, aus meinem Autopiloten-Modus aufzuwachen und zu bemerken, was mich gerade beschäftigt. Mein Partner und ich führen dadurch weniger Stellvertreterdiskussionen – diese Streitgespräche über liegen gelassene Socken, Zu-spät-dran-sein oder kalt gewordenes Essen, weil Eine*r zu spät nach Hause kommt. Das eigentliche Problem liegt immer woanders. Manchmal ist die wahre Ursache körperlich, dass man nämlich müde ist oder Hunger hat.

Auch in dieser Hinsicht merke ich inzwischen besser, wie es mir geht. Als hätte man bei einem Auto die Temperaturfühler neu kalibriert und den Schmutz vor den Einparksensoren weggewischt. Ich nehme alles deutlicher wahr. Beim Bodyscan tut dann bestenfalls nichts weh und alles fühlt sich fluffig an. Das muss einem erstmal auffallen! Wer es auch anders kennt, weil er oder sie ständig Kopfschmerzen oder einen Blähbauch hat, weiß zu schätzen, wenn mal alles gut ist.

Und das Einschlafen? Das klappt besser aufgrund mehrerer Rituale: Ich beende den Tag mit einer Meditation im Bett und höre dann entweder den Einschlafen-Podcast oder Schlafmusik aus der Headspace-App. Zu 90 Prozent bin ich nach 30 Minuten eingeschlafen, was für meine Verhältnisse eine sehr gute Quote ist.

Was ich inzwischen über Meditation gelernt habe

Wer hier schon länger mitliest, weiß, dass ich nicht (mehr) an Ratschläge glaube. Ich möchte niemanden bekehren oder überzeugen, erst recht nicht beim Thema Meditation. Denn wenn man es irgendwann schafft, regelmäßig zu meditieren, dann tut man es in erster Linie für sich selbst. Man kann niemandem etwas raten und man will auch niemanden beeindrucken. Vielmehr will ich aufzeigen, dass der Einstieg auch nach jahrelangen vergeblichen Versuchen noch klappen kann.

Ich habe eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass es kein Richtig oder Falsch gibt. Es geht nicht darum, es besonders gut zu machen. Meditation ist so individuell wie die meisten Sachen im Leben, d. h., wir haben unterschiedliche Vorlieben und Zugänge. Was bei einem Menschen funktioniert, muss nicht bei einem anderen klappen.

Gängige Klischees kann man daher über Bord werfen. In meiner Wunschvorstellung saß ich beispielsweise wie selbstverständlich jeden Tag eine halbe Stunde im Schneidersitz in der Stille mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Das machte mich in meiner Fiktion ausgeglichen und für alle Mitmenschen wunderbar zu ertragen. Der Nachteil solcher Bilder ist: Sie lassen uns glauben, dass nur das richtig ist. Aus diesem Grund habe ich auch kein Schneidersitz-Foto als Artikelbild gewählt, denn solche Klischees erzeugen Druck und versperren den Blick auf einen realistischeren Weg: z. B. mit fünf Minuten im Liegen und einer Anleitung anzufangen.

In meiner Wunschvorstellung sehnte ich mich zudem danach, nicht mehr zu denken. Ich dachte, irgendwann würde Stille einkehren. Das ist allerdings unrealistisch, denn Meditation heißt nicht, dass keine Gedanken mehr kommen. Man versucht eher, sie vorbeifließen zu lassen. Man will merken, dass man denkt – und dann wieder zum Atem oder zum Körper zurückkommen.

Ich musste das Brett dort bohren, wo es am dünnsten war. Das heißt, ich machte es mir maximal bequem – sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne. Ich kann beispielsweise im Liegen am besten meditieren. Also meditiere ich im Liegen. Wenn Kritiker meinen, man müsse im Sitzen meditieren, sonst sei es kein richtiges Meditieren, dann bleibe ich trotzdem dabei, weil es für mich besser funktioniert.

Ich wählte anfangs auch einen bequemen Zeitpunkt, nämlich vor dem Frühstück, denn morgens ist meine Willensstärke noch frisch. Mittlerweile kann ich einen Abendtermin riskieren, weil die Gewohnheit nicht mehr zur Debatte steht. So wie Zähneputzen.

Bequem mache ich es mir auch mit Hilfe einer Audio-Anleitung. Dadurch muss ich weniger entscheiden, ich muss nicht allein gegen das Abschweifen ankämpfen und bekomme regelmäßig neuen Input. Manche Menschen meditieren lieber ohne Anleitung und finden das komfortabler, weil sie dann keine App, keine Kopfhörer etc. brauchen.

So oder so: Es geht darum, es jeden Tag zu tun. Der Headspace-Sprecher und Gründer Andy sagt dazu:

It‘s about showing up every day and sit.

Auch wenn man Stress hat. Auch wenn das Meerschweinchen gestorben ist. Auch wenn alles drunter und drüber geht. Die tägliche Übung hat den Vorteil, dass sie keine Verhandlung duldet: Man tut es. Als Veranschaulichung zeigt die Headspace-App eine Animation mit einem Elefanten, der unbeirrbar seines Weges stapft. Er hält nicht an. Andere Tiere sind schneller, sie überholen ihn, aber sie bleiben irgendwann stehen. Der Elefant trampelt weiter.

Eine letzte Erkenntnis ist mir noch wichtig: Man braucht ein gutes Gefühl bei und nach der Meditation. Ansonsten klappt es nicht. Das trifft übrigens auf jede Gewohnheit zu. Verzicht und Selbstkasteiung hält man auf Dauer nicht durch. Das Schwierigste ist allerdings der Anfang, den man erstmal überstehen muss. Allmählich sammelt man dann Erlebnisse, welche die Eigenmotivation erhöhen. Diese Erfolgserlebnisse fehlten mir lange. Ich hatte zwar unzählige Bücher gelesen, aber ich verband kein Gefühl mit Meditation. Ich musste erst den Anfang machen, um mich dann von selbst zu motivieren.

Zu Risiken und Nebenwirkungen: Auch später gibt es noch Tage, an denen nichts klappt. Zu Beginn der Corona-Krise war ich beispielsweise so abgelenkt, dass ich komplett abschweifte und nicht einmal das Ende der Meditation bemerkte. Auch so etwas gehört dazu. Hauptsache, man macht weiter.

Apropos Corona: Man könnte meinen, Meditation könne in diesen Zeiten nichts ausrichten. Was bringt es, wenn wir uns entspannen, während anderswo Hunderte Menschen sterben? Eine Menge, wie die Wissenschaft bewiesen hat. Forscher fanden u. a. „relativ deutliche Belege für Besserung bei Angst, Depression und Schmerzen und weniger signifikante Belege zur Besserung von Stress/Belastung und der Lebensqualität, bezogen auf die psychische Gesundheit“.4

Aus der Forschung zu Empathie wissen wir zudem, dass z. B. das Ärzte- und Pflegepersonal ausbrennt, wenn es tagtäglich mit extremem Leid konfrontiert ist und nicht ausreichend für sich sorgt. Genauso gilt für alle, die momentan nicht an vorderster medizinischer Front kämpfen, dass sie sich gut um sich kümmern müssen. Es ist wie mit den Sauerstoffmasken im Flugzeug: Du musst dir zuerst selbst helfen, damit du anderen helfen kannst.


Wenn du es angehen und endlich meditieren lernen möchtest, kannst du dir Unterstützung holen: Hier findest du meine Audio-Meditationsanleitungen. Es sind die Meditationen, mit denen ich selbst angefangen habe. Zum Teile übe ich heute noch damit. Selbst mein Vater hat sich darauf eingelassen. Wenn das kein Testimonial ist!

Ähnliche Artikel

Quellen

  1. Wikipedia: Progressive Muskelentspannung
  2. Yoga Vidya Wiki: Bodyscan
  3. keine bezahlte Werbung o. ä.
  4. Wikipedia: Meditationsforschung

7 Comments

Submit a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert